Ingolstadt
Ein Geheimnis in luftiger Höhe

Zwei steinerne Figuren zieren den südlichen Turm des Münsters, sie wirken seltsam deplatziert

27.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:27 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Zwei Figuren blicken vom Südturm des Münsters auf die Schanz hinunter. Sie wirken allerdings etwas fehl am Platz. Wer sie wann dort angebracht hat, darüber können selbst Experten nur spekulieren.

Irmgard Gutzeit hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu den beiden Figuren an der Fassade des Ingolstädter Wahrzeichens hinaufgesehen. Bevor 1992 zur Landesgartenschau offizielle Stadtführerinnen ausgebildet wurden, hat sie immer wieder Gruppen durch die Schanz geführt und weiß deswegen eine Menge über das Münster. Aber dieses Ensemble gibt ihr Rätsel auf. Und nicht nur ihr. Gutzeit hat im Ingolstädter Archiv nachgefragt, bei den ehemaligen Münsterpfarrern Isidor Vollnhals und Hans Meyer, im Stadtmuseum mit Experten gesprochen und den ehemaligen Kulturreferenten Siegfried Hofmann befragt. Der hat ihr damals schließlich auch viel Wissenswertes für die Führungen verraten. Aber die Figuren?

Hoffmann spekulierte, die Figuren könnten Teil eines Epitaphs sein, schließlich gab es einst rund um das Münster einen Friedhof. Tatsächlich sind in der Fassade des Münsters mehrere Grabplatten eingebaut. Außerdem fiel Hofmann auf, dass die obere Frauenfigur wirkt, als wäre sie einfach auf die untere aufgesetzt worden. So, als gehörten die beiden eigentlich gar nicht zusammen. Gutzeit stieß bei ihrer Suche auf immer mehr Fragen, obwohl sie sich doch Antworten erhofft hatte. Auch im Historischen Verein, in dem sie engagiert ist, gab es niemandem, der helfen konnte. Jetzt hat sie sich an den DONAUKURIER gewandt. „Vielleicht weiß ein DK-Leser etwas“, hofft sie.

Auch im Domschatz- und Diözesanmuseum in Eichstätt ist man gespannt. „Das ist tatsächlich eine spannende Frage“, sagt Museumsleiter Emanuel Braun. Nach der Anfrage des DK hat er einen Blick in seine Bücher geworfen, aber keinen Hinweis auf die Figuren gefunden. Offenbar hat sich bisher noch niemand für sie interessiert. „Wahrscheinlich sind sie den meisten Leuten auch noch gar nicht aufgefallen“, glaubt Gutzeit.

Braun hat zumindest eine Idee, woher die Figuren stammen könnten. „Die Art, wie die Skulpturen eingebaut sind, deutet darauf hin, dass das Versetzen zeitlich mit der großen Sanierung von 1960 bis 1978 zusammenhängen muss.“ Sicher ist, dass die Figuren ursprünglich nicht an diese Stelle gehörten. „Ihr Standort wirkt aus der Betrachterperspektive völlig unmotiviert und kann deshalb kaum bauzeitlich sein“, erklärt Braun. „Ich vermute, es handelt sich um Fundstücke, die im Rahmen der Sanierung aufgetaucht sind und nicht mehr zugeordnet werden konnten.“ Vielleicht wurden sie kurzerhand an dieser markanten Stelle angebracht.

Aus den Fotos, die der DK dem Experten geschickt hat, kann er weitere Details herauslesen: So scheint sich die obere, weibliche Figur von der unteren stilistisch zu unterschieden. Es könnte also tatsächlich sein, dass das Ensemble nachträglich zusammengesetzt wurde. „Andererseits ist sie formal relativ passgenau für die Konsole gearbeitet“, merkt Braun an. Die untere Figur mit dem Schriftband ist ein Erzengel und stammt aus der Zeit um 1500. „Die Kehlung, in der er sitzt, muss ein Einzelstück eines größeren Zusammenhangs sein, der sich nach oben und unten fortgesetzt hat“, so der Museumsleiter. Vielleicht handelte es sich ursprünglich also um den Schmuck eines Pfeilers.

Der verantwortliche Architekt der Sanierung war Josef Elfinger, der 1988 gestorben ist. Peter Braun kann sich noch gut an ihn erinnern. Ab 1977 beteiligte er sich als beratender Architekt an der Sanierung des Münsters. „Damals war die Außensanierung bereits abgeschlossen“, berichtet Peter Braun. „Ich war nur noch bei den Arbeiten im Inneren beteiligt.“ Deswegen kann auch der Architekt bei der Frage nach den Figuren kein Licht ins Dunkel bringen. Braun teilt die Einschätzung seines Eichstätter Namensvetters, dass die Figuren ursprünglich nicht an den Turm gehörten. „Sie sind viel zu fein gearbeitet für die Monumentalität der Türme. Sie waren sicher Bestandteil einer zarteren Innenkonstruktion.“ Allerdings glaubt er nicht, dass es Elfinger war, der die Figuren versetzt hat. „Das hätte er mir bestimmt erzählt“, ist sich Braun sicher. Er glaubt vielmehr, dass die Figuren schon in der Romantik am Turm angebracht worden sind. Das Geheimnis bleibt also ungelüftet – vorerst.