Ingolstadt
"Den Frauen wird oft nicht geglaubt"

Andrea Teichmann von der Beratungsstelle Wirbelwind über die Aufmerksamkeit, die sexuelle Gewalt normalerweise erhält

08.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:20 Uhr

−Foto: Schattenhofer, Suzanne, Ingolsta

Ingolstadt (DK) Der Verein Wirbelwind ist Träger einer Fachberatungsstelle bei sexueller Gewalt. Zum Angebot zählen Krisenintervention, ein Nottelefon, eine Selbsthilfegruppe sowie Informationsarbeit und Prävention. Rund 200 Beratungen leisten Andrea Teichmann (Foto) und ihre Kollegin Petra Kufner pro Jahr. Teichmann ist Diplom-Sozialpädagogin und Fachberaterin für Psychotraumatologie.

 

Die sexuellen Übergriffe gegen Frauen in Köln oder Hamburg schockieren die Bevölkerung. Wie beurteilen Sie diese Attacken?

Andrea Teichmann: Das ist natürlich nicht hinnehmbar. Mich irritiert allerdings das breite gesellschaftliche und mediale Interesse, das ja bei anderen sehr schwierigen Themen – auch, was sexualisierte Gewalt angeht – sonst nicht zu finden ist. Am Beispiel Köln wird deutlich, dass es sehr viel leichter ist, sich über öffentlich sichtbare Gewalt zu echauffieren als über solche, die nicht so leicht sichtbar ist. In diesem Falle kommt noch dazu, dass die Gewalt von Menschen aus einem anderen Kulturkreis ausgeht. Ich persönlich sehe die Gefahr, dass in der Debatte rassistische Motivationen mit eine Rolle spielen.

Wenn ich ergänzen darf: Wirbelwind ist über Weihnachten und Neujahr geschlossen und nicht erreichbar. Wegen unserer begrenzten personellen Kapazitäten. Das ist doch auch schon wieder ein Hinweis, dass sexualisierte Gewalt bei uns nicht die Aufmerksamkeit hat, wie es jetzt scheint in den Medien. Alle Welt regt sich über Köln auf, aber die Frauen, die jetzt in Ingolstadt, Pfaffenhofen oder Neuburg über Weihnachten oder Silvester vergewaltigt worden sind, bekommen keine fachliche, psychologische Unterstützung.

 

Es leben mittlerweile viele Flüchtlinge unter uns. Sind bei Wirbelwind schon Frauen aufgetaucht, die Opfer sexueller Gewalt dieser Männer wurden?

Teichmann: Nein, wir hatten noch keinen Fall eines sexuellen Übergriffs durch einen Flüchtling. Aber die Frauen äußern in der Beratung Ängste davor. Wir hatten außerdem zwei Anfragen von Frauen aus dem Abschiebelager in Manching. Eine wurde auf der Flucht vergewaltigt, die andere bei sich zu Hause in Rumänien. Da diese Frauen kein Bleiberecht, also keine äußere Sicherheit haben, ist eine Behandlung ihrer Traumata leider nicht sinnvoll.

 

Frauen sollen No-go-Areas meiden oder Männer auf Abstand halten. Auf eine Armlänge, wie Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker meinte. Was halten Sie von solchen Verhaltensmaßregeln?

Teichmann: Da muss ich lachen. Das ist in unserem Kulturkreis völlig undenkbar. Es darf nicht passieren, dass Männer aus anderen Kulturkreisen sich Freiheiten herausnehmen und dadurch unsere Grundrechte beschnitten werden. Unsere Werte sind der Maßstab für Integration. Gott sei Dank haben wir nicht Zustände wie in Saudi-Arabien, wo Frauen nicht überall in der Öffentlichkeit natürlich und gleichberechtigt auftreten können.

 

Grapschen im Bus oder aufdringliche Anmache auf dem Oktoberfest – überall werden Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen. Sinkt der Respekt?

Teichmann: Das können wir nicht beobachten. Wohl aber, dass durch zunehmenden Drogen- oder Alkoholgenuss Hemmschwellen heute viel leichter überwunden werden.

 

Frauen, die sexuell missbraucht wurden, fühlen sich oft nicht ernst genommen – manchmal nicht einmal von der Polizei. Opfer schämen sich und schweigen. Wie kann das sein?

Teichmann: Aus der Erfahrung heraus, dass Frauen, denen sexualisierte Gewalt geschieht, oft nicht geglaubt wird. Und das hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass diese Gewalt in aller Regel nicht öffentlich sichtbar ist und bewiesen werden muss. Das ist genau der Unterschied zu den Übergriffen in Köln. Die Frauen aus Köln haben den großen Vorteil, dass die Übergriffe nicht geleugnet werden können.

 

Wirbelwind musste lange Zeit um Geld und Anerkennung für seine Arbeit kämpfen. Wie sieht die aktuelle Situation aus?

Teichmann: Aktuell ist es so, dass die Stadt Ingolstadt die Fachberatungsstelle gut unterstützt. Aber die angrenzenden Landkreise haben nach wie vor große Schwierigkeiten, sie zu finanzieren.

 

Wirbelwind leistet auch Präventionsarbeit. Wie sieht die aus?

Teichmann: Wir können leider nur in sehr eingeschränktem Maße Präventionsarbeit leisten. Das hat wieder mit unseren personellen Kapazitäten zu tun. Wirkungsvolle Prävention wäre zum Beispiel, regelmäßig in allen Kindergärten und Schulen als Wirbelwind präsent zu sein und Kurse in Selbstbehauptung anzubieten. Das alles ist bis heute auch in Ingolstadt nicht möglich.

 

Das Gespräch führte

Suzanne Schattenhofer.