Ingolstadt
Der Mann, der den Audi zwinkern lässt

Der Schrobenhausener Stephan Berlitz leitet die Lichtentwicklung des Autobauers ein Besuch in seinem Allerheiligsten

23.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:46 Uhr

Visionär im Lichtkanal: Stephan Berlitz aus Schrobenhausen ist bei Audi der Herr über Scheinwerfer und Licht. - Foto: Klaus Stark

Ingolstadt/Schrobenhausen (DK) Was die Augen für ein Gesicht sind, sind die Scheinwerfer für ein Auto. Der Schrobenhausener Stephan Berlitz ist der Mann, der bei Audi den Fahrzeugen durch ausgeklügeltes Scheinwerferdesign ihren ganz eigenen Charakter verleiht.

Licht in der Automobilindustrie ist für Stephan Berlitz Beruf und Berufung. "Licht ist ohnehin schon faszinierend und liefert obendrein noch Hauptinformationen beim Autofahren - bei Tag und Nacht", ist Stephan Berlitz überzeugt. Der Elektroningenieur weiß, wovon er spricht. Seit mittlerweile 15 Jahren verhilft er als leitender Entwicklungsingenieur für Lichtfunktion und Innovation Audi-Modellen quasi zu ihrem charakteristischen Wimpernschlag. Schon im Rückspiegel soll man erkennen, welches Fahrzeug und welcher Typ sich da nähert - sei es nun ein Q 7, ein TT oder ein A 8.

Der weitschweifende Blick aus dem Fenster seines Ingolstädter Büros im vierten Stock reicht vom Donaumoos hinweg über die Windräder von Englmannsberg bis zum Wettersteingebirge mit dem Gipfel der Zugspitze. Dieser Ausblick scheint die Imagination zu beflügeln und den Horizont eines innovativen Menschen zu erweitern. Schon im Studium der Elektrotechnik an der TU München hat sich der heute 49-Jährige der automobilen Beleuchtungstechnik verschrieben. Die Begeisterung hat ihn seither nicht mehr losgelassen.

Dann geht es ins Lichtassistenzzentrum. Irgendwo zwischen High-Tech-Testfeld und spacigem Showroom. Dort befinden sich die heiligen Hallen der Lichttechnologie. Drei Stockwerke unter der Erde, 120 Meter lang, zwölf Meter in der Breite und über fünf Meter hoch. "Wir haben hier den größten befahrbaren Lichtkanal Europas", verkündet der studierte Elektroingenieur nicht ohne Stolz.

Der Lichtkanal unter der Erde ist allemal genauso beeindruckend wie seine Entstehungsgeschichte. Bevor die übrigen Etagen anno 2004 gebaut wurden, sei eine Teermaschine in die Baugrube gehoben worden, erzählt Berlitz. Einige Nachbesserungen seien noch nötig gewesen, bis die Testfläche den gestrengen Anforderungen der Ingenieure entsprach. "Der Boden hier ist heilig", erteilt der Meister des Lichtkanals Vollbremsungen und wilden Donuts eine klare Absage. "Es fehlt nur noch der U-Bahn-Anschluss", sagt Berlitz. Ein Schmunzeln macht sich auf seinem Gesicht breit.

Hier werden neue Lichtsysteme auf Herz und Nieren getestet, verschiedenste Szenarien simuliert, ehe es raus geht zu den Probeläufen unter Realbedingungen. Eins ist für Stephan Berlitz klar: "Es geht nichts über eine Nachtfahrt draußen." Bis es soweit ist, finden im unterirdischen Lichtassistenzzentrum allerlei Tests statt.

"Speed of light", der Imagefilm der Audi-Beleuchtungsinnovation, flimmert über die Großleinwand und macht deutlich, wie rasant die technologische Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren auch vor der automobilen Beleuchtung nicht haltgemacht hat. Eine Entwicklung, die selbst dem versierten Insider noch Respekt entlockt. Gut drei Jahre gehen ins Land, ehe ein neues Lichtsystem die Serienreife erreicht, so Berlitz. Von der Vision zur Entwicklung. Dann unzählige Tests und schließlich muss das, was Licht-Designer und Entwicklungsingenieure sich ausgedacht haben, auch noch mit dem Gesetzgeber konform gehen.

Stephan Berlitz und sein Team drücken in Sachen Ästhetik, Sicherheit, Dynamik und Interaktion maßgeblich ihren Stempel auf. Tagfahrlicht, Kreuzungslicht, Kurvenlicht gekoppelt an das Navigationssystem: Die Lichtverteilung der hoch entwickelten Matrix-LED-Scheinwerfer ändert sich mit dem Straßenverlauf. Gegenverkehr oder Fußgänger werden automatisch erkannt, um automatisch in den Abblendmodus zu gehen. Das Schlagwort "vernetztes intelligentes Licht" fällt.

Seine jahrelangen technischen Erfahrungen und sein Know-how sind weltweit gefragt. Beim Zusammenspiel mit Behörden, Zulieferern, im Verkehrsministerium und dem Gesetzgeber ist die Expertise des unermüdlichen Netzwerkers gefragt. Hier ist Berlitz Vice Chairman in einer Arbeitsgruppe in den USA, da leistet er Überzeugungsarbeit vor den Vereinten Nationen in Genf und bringt damit eine Gesetzesänderung auf den Weg. "Von allen gesetzlichen Regelungen rund ums Auto betreffen ein Drittel die Beleuchtung - weltweit", berichtet Stephan Berlitz. Ein Parameter, der bei der Lichtentwicklung also offensichtlich Gewicht hat.

Der vierfache Familienvater erinnert sich zurück ans Zeitalter des Xenon-Scheinwerfers. Auf der Basis einer Promotionsarbeit wurde gemeinsam mit seinem 20-köpfigen Team ein System entwickelt, das die Lichtverteilung automatisch auf Linksverkehr umstellte, sobald man die Fähre auf die britischen Inseln verließ. Im Jahr 2010 wurde bei Audi auf dieses System umgestellt. "Langsam ziehen die Wettbewerber mit", stellt Berlitz fest. Für den Lichtingenieur keine Bedrohung, sondern eher Ansporn.

Die Liste der realisierten Audi-Lichtdesignvisionen ist lang. Wo sie der Öffentlichkeit präsentiert werden, staunt die Fachwelt. Hier die Milan Design Week. Dort in Mailand, wo sich Kunst und Design ein weltumspannendes Stelldichein geben, war Audi mit seiner Lichtpräsentation im eigenen Darkroom vertreten. "Künstler und Architekten waren begeistert", resümiert Berlitz. Da der Automobilsalon "Mondial de l'Automobile" in Paris, eine der wichtigen Automessen in Europa.

Und vor wenigen Wochen bei der Automobilmesse in Peking wurde der Vorhang gelüftet für den TT RS, der neue 400-PS-Fünfzylinder mit seinen OLED-Leuchten - futuristisches Lichtdesign entwickelt und umgesetzt im Team Berlitz. "Ein geniales Schlusslicht - mit seiner Leichtigkeit hochpräzise und extrem wertig", findet der Mann, der den Audi zwinkern lässt. Man darf durchaus gespannt sein, was sich demnächst im Matrix-Laser-Bereich tut. Berlitz jedenfalls scheint nicht müde zu werden, kreative Köpfe voller Ingenieursneugier und Forscherdrang immer wieder an den Entwicklungstisch zu bringen und bei allem Erfolg die Bodenhaftung zu behalten.