Ingolstadt
Zu lasche Ermittlungen an der Unfallstelle?

Früherer Verkehrspolizist wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt Dienststellenleiter war stutzig geworden

12.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:58 Uhr
Symbolbild Gericht −Foto: Sebastian Schanz

Ingolstadt (DK) Hat ein früherer Beamter der Ingolstädter Verkehrspolizei (VPI) seinen Dienst gelegentlich zu leicht genommen und so im Mai vor zwei Jahren bei einem Einsatz auf der Autobahn die Strafverfolgung eines Unfallfahrers vorläufig verhindert?

Für Amtsrichterin Katharina Hartmann steht das im konkreten Fall "zweifelsfrei" fest, wie sie in ihrer gestrigen Urteilsbegründung betonte. Sie "verdonnerte" den Polizeihauptmeister, der inzwischen bei einer anderen Dienststelle arbeitet, wegen versuchter Strafvereitelung im Amt zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 50 Euro - sogar mehr als im angefochtenen Strafbefehl vorgesehen.

Allerdings ist dieses Urteil, nach dem der Beamte vorbestraft wäre und wohl auch Disziplinarmaßnahmen fürchten müsste, noch nicht rechtskräftig.

10. Mai 2014: Auf der A 9 zwischen Denkendorf und Stammham touchiert ein Kleinlastwagen auf der Fahrt in Richtung Süden die Mittelleitplanke, nachdem der polnische Fahrer zuvor nach Zeugenaussagen schon drei bis vier Kilometer in Schlangenlinien gefahren sein soll. Es entsteht zwar praktisch kein Schaden, doch die Umstände des Unfalls sind ungewöhnlich: Der von den Polizisten der VPI hilflos vorgefundene Lkw-Fahrer, so stellt sich bei der Behandlung durch den Rettungsdienst heraus, ist Diabetiker und hatte wegen Unterzuckerung das Bewusstsein verloren.

An dieser Stelle nun, so argumentierten später Vorgesetzte der Streifenbeamten und letztlich dann eben auch Staatsanwaltschaft und Gericht, hätte der jetzt angeklagte Polizist - weil er derjenige war, der die Einzelheiten des Unfalls zu Protokoll nahm - zu einer tieferen Recherche ansetzen müssen. Hatte der Lkw-Fahrer seine Unterzuckerung in Kenntnis seiner Krankheit und gebotener Lebensweise vielleicht selbst verschuldet? Hatte er auf der Schlangenlinienfahrt über die Autobahn womöglich sogar andere Verkehrsteilnehmer akut gefährdet? Und wäre angesichts der besonderen Umstände nicht eine ausführliche Dokumentation der Unfallstelle mit Skizze und Fotos notwendig gewesen?

Der Beamte unternahm seinerzeit nichts in diese Richtung, begnügte sich offenbar mit einer ersten Auskunft eines Rettungsdienstlers, wonach eine Unterzuckerung bei Diabetikern jederzeit plötzlich vorkommen könne. Auch als der Dienstgruppenleiter der VPI über Funk anregte, den Vorfall in Richtung einer möglichen fahrlässigen Verkehrsgefährdung abzuklopfen, sah der Streifenpolizist offenbar keine Anhaltspunkte hierfür und sprach gegenüber dem diensthabenden Staatsanwalt bei einer routinemäßigen telefonischen Meldung von einem gewöhnlichen Kleinunfall ohne strafrechtlichen Hintergrund, der demzufolge nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt wurde. Der Pole durfte ohne Sicherheitsleistung weiterfahren.

Erst als in den Tagen darauf der damalige Chef der Verkehrspolizei beim Aktenstudium stutzig wurde und Anhaltspunkte für eine tatsächliche Verkehrsgefährdung entdeckte, kamen doch noch entsprechende Ermittlungen in Gang, die inzwischen auch zu einer Verurteilung des Unfallfahrers geführt haben. Offenbar hatten sich tatsächlich einige Zeugen auf der Autobahn durch den unkontrolliert dahinrollenden Lkw gefährdet gefühlt.

Der inzwischen pensionierte Dienststellenleiter sagte im Prozess als Zeuge aus und gab dabei zu erkennen, dass ihm der fragliche Beamte schon einmal wegen einer "schlampigen Unfallaufnahme" aufgefallen sei. Er hatte den jetzt verhandelten Vorfall auch zum Anlass genommen, dem Untergebenen bei einer Beurteilung eine eigentlich mögliche Höhergruppierung zu verweigern.

Der Angeklagte deutete in seinen Aussagen an, dass er wohl über längere Zeit ein angespanntes Verhältnis zu seinem Vorgesetzten gehabt hat. An seiner neuen Dienststelle sei hingegen alles unproblematisch. Sein Rechtsanwalt stellte heraus, dass sein Mandant damals an der Unfallstelle einfach keine Hinweise auf eine mögliche Straftat gehabt habe und deshalb folgerichtig auch keine Strafvereitelung vorgelegen haben könne. Er beantragte Freispruch.

Amtsrichterin Hartmann folge mit ihrem Urteil aber der Auffassung der Staatsanwaltschaft. Der Beamte, so ihre Einschätzung, habe sich im Prozess uneinsichtig gezeigt und wolle wohl nicht wahrhaben, dass es seinerzeit klare Anzeichen für Ermittlungsbedarf gegeben habe, die bei größerem Engagement erkennbar gewesen wären. Die Vorsitzende: "Das muss einem erfahrenen Polizisten ins Auge springen!"