Ingolstadt
Wo die Zeit still steht

Die Herrenschwaige ist seit über 100 Jahren nahezu unverändert – aus der Landwirtschaft wird zunehmend ein Pferdehof

13.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:03 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Pferdewiehern hallt über den Hof. Eine junge Frau verschwindet im Stall. Die Dezembersonne taucht die Szene in warmes Licht, im Kontrast dazu bläst eisiger Wind um die Ecke und lässt einen frösteln. Die Dezembersonne taucht die Szene in warmes Licht, im Kontrast dazu bläst eisiger Wind um die Ecke und lässt einen frösteln.

Wir sind draußen in der Herrenschwaige, einsam gelegen zwischen Hagau und Knoglersfreude. Eine von zwölf Einöden, die es in Ingolstadt gibt.

Helga Haage ist hier aufgewachsen und lebt bis heute dort. „Ob ich auf dem Hof geboren bin, weiß ich aber gar nicht“, erzählt die 51-Jährige. Seitdem 2007 ihr Vater Pius und im Jahr darauf ihre Mutter Katharina gestorben sind, bewirtschaftet sie das Anwesen allein. Ihre Schwestern, von denen eine nebenan gebaut hat, helfen mit. „Viel machen wir nicht mehr, ein bisserl Ackerbau halt“, sagt die Bäuerin.

Dabei war die Herrenschwaige einmal eine stattliche Landwirtschaft. Ein altes Foto, entstanden um 1900, zeigt die Belegschaft mit über 19 Leuten – einer hat die Sense geschultert, ein anderer hält eine Mistgabel, der Großknecht ist mit dabei, und die Mägde tragen Kopftücher. Der Hof hat vielen Menschen Arbeit gegeben. Das Bild belegt eindrucksvoll, dass sich seither kaum etwas geändert hat. Nur ein Gebäude neben der Einfahrt ist abgerissen worden, alles andere wirkt so, als sei die Zeit stehen geblieben. Selbst der Taubenschlag ist noch derselbe, nur dass sein hölzerner Pfahl ein klein wenig windschief geworden ist.

Die Geschichte der Herrenschwaige ist lang und mitunter nicht mehr nachvollziehbar. „1405 ist sie jedenfalls das erste Mal erwähnt worden“, hat Helga Haage der Familienchronik entnommen. Um 1600 ging das einsam gelegene Anwesen ins Eigentum der Stadt über. Sie kaufte den „Viehhof des Herren, der ehrwürdigen Ratsherren der Donaufeste“, wie der Hof sich nannte. Das hat Stadtchronist Hans Fegert recherchiert. „Schwaige ist ein anderes Wort für Viehhof“, erklärt er.

Den feinen Ratsherren lag es jedoch fern, die entlegene Einöde selber zu bewirtschaften. Sie verpachteten das Anwesen, wobei der Wechsel beachtlich war. „Damals ist die Donau noch ungebändigt gewesen, so dass es oft Überschwemmungen gegeben hat“, sagt die heutige Eigentümerin. „Das Haupthaus soll früher ein Turm gewesen sein. Da sind die Bewohner bei Hochwasser nach oben geflüchtet.“

Johann Adam Freiherr von Ickstatt, damals Direktor der Universität in Ingolstadt, kaufte die Herrenschwaige 1749. „Er hat das Tor bauen und sein Wappen dort anbringen lassen, das man heute noch sieht“, weiß Helga Haage. 15 Jahre nach Ickstatts Tod wechselte die Einöde ab 1791 noch mehrfach den Eigentümer, bis 1862 der Hundszeller Landwirt Mathias Massenhauser den Hof erwarb und eine bis heute gültige Schankkonzession für eine kleine Gaststube beantragte. Seither ist die Herrenschwaige fest in Familienhand der Haages, denn Massenhausers Tochter Katharina war die Urgroßmutter der heutigen Besitzerin. Sie hatte Kastulus Haage aus der Holledau geheiratet. „Er hat dann bald damit begonnen, Hopfen anzubauen. Die alten Stangen liegen noch auf dem Heuboden“, lacht Helga Haage.

Die Herrenschwaige war bis in die Gegenwart eine traditionelle Landwirtschaft. Noch Anfang der 1980er Jahre sind die Schweine täglich in den nahe gelegenen Wald getrieben worden. „Als Kinder haben wir das immer machen müssen“, sagt die 51-Jährige. Pferde haben schon immer eine große Rolle auf dem Hof gespielt, 1923 war sogar ein Rennverein gegründet worden. „Einmal im Jahr findet auch heute noch ein Dressurturnier statt.“ Eine Interessengemeinschaft Herrenschwaige startete Anfang der 1970er Jahre einen Flohmarkt. Der heute 84 Jahre alte Xaver Meyer hatte ihn mit organisiert, zuletzt 2001. „Eine schöne Zeit ist es gewesen“, erinnert er sich. Gesundheitlich bedingt habe er dann aufgegeben.

Die Volkstänzer treffen sich bis heute in der Herrenschwaige, ebenso wie die Fechter des TV 1851 Ingolstadt zu ihrer jährlichen Winterwanderung oder die KAB Hundszell zur Maiandacht. Für Leben auf dem Hof sorgen vor allem die vielen Reiter, die ihre Tiere dort untergestellt haben. Helga Haage freut sich über die Gesellschaft, und die Boxenmiete hilft ihr beim Unterhalt des Hofs. Ans Aufhören denkt die Bäuerin noch lange nicht. „Dafür ist es viel zu idyllisch hier draußen!“