Ingolstadt
"Wir sind froh, dass es so ausgegangen ist"

Selbst für erfahrene Einsatzkräfte war die Geiselnahme eine Extremsituation – die sie professionell gemeistert haben

20.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:46 Uhr

Lob vom Innenminister: Nicht nur das Münchner Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei hat nach Auffassung von Joachim Herrmann hervorragend gearbeitet, sondern alle Einsatzkräfte hätten eine „hochprofessionelle“ Leistung gezeigt, meinte der CSU-Politiker in einer ersten Bilanz - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Die Geiselnahme ist zu Ende. Jetzt beginnt die Aufarbeitung der Geschehnisse – für die Opfer, aber auch für Polizei und Rettungskräfte. „Professionell, konsequent und klug“ hätten sich die Einsatzkräfte verhalten, lobte gestern Ministerpräsident Horst Seehofer. Auch Innenminister Joachim Herrmann ist zufrieden.

Dass die Entscheidung, den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel abzusagen, bereits gegen Mittag gefällt worden sei, habe der Verhandlungsgruppe viel Druck erspart, so Herrmann. So hatten die Polizisten und Psychologen, die in ständigem Kontakt mit dem Täter waren, Gelegenheit, „auf Zeit zu spielen“, wie Einsatzleiter Günther Gietl erklärte. Am Nachmittag, als nur noch zwei Menschen in der Gewalt des Geiselnehmers waren, seien die Reaktionen des Täters „nicht mehr so nachvollziehbar“ gewesen, so Gietl. Die Einsatzkräfte bereiteten deswegen den Zugriff vor. Auch, weil man vermeiden wollte, dass der 24-Jährige irgendwann mit der gefangenen Frau – der er bereits monatelang nachstellte – alleine ist. Deswegen habe man nicht „zu lange gewartet“, so Herrmann, der an ein Verbrechen in der JVA Straubing im Jahr 2009 erinnerte, bei dem der Täter seine Geisel mehrmals vergewaltigte, bevor er nach Stunden aufgab. Auch dieser Fall muss den Verantwortlichen am Montag durch den Kopf gegangen sein, als sie ihre Taktik diskutierten.

„Wir sind froh, dass es so ausgegangen ist“, sagte Günther Beck, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, am Tag nach der Geiselnahme. Als Erfolg sei nicht nur die gewaltsame Befreiung der beiden letzten Geiseln zu werten, sondern auch, dass zwei Gefangene schon vorher vom Täter freigelassen wurden. Das sei auch der Taktik der Verhandlungsgruppe zuzusprechen. Eine abschließende Manöverkritik gibt es bei der Polizei noch nicht. Es ist Urlaubszeit, und viele Kollegen sind nicht im Dienst. Einige hatten ihre Ferien am Montag nur unterbrochen – entweder, um den geplanten Besuch der Kanzlerin abzusichern, oder, weil sie nach der Gewalttat aus der Freizeit gerufen wurden. Erst, wenn alle wieder da sind, wird es eine Besprechung der Ereignisse geben, so Beck. „Wir lernen ja aus jedem Einsatz“, betonte er.

Oberbürgermeister Alfred Lehmann haben die Ereignisse am Montag sichtlich bewegt. „Ich war noch nie in einer vergleichbaren Situation“, sagte er am Abend des ereignisreichen Tages. „Erst wenn man so etwas einmal selbst erlebt hat, weiß man, was die Polizei und die Einsatzkräfte leisten.“ Thomas Thöne kennt ähnliche Lagen. Gemeinsam mit dem Leitenden Notarzt, Stephan Steger, koordinierte er als Organisatorischer Leiter den Einsatz des Rettungsdienstes. Ihm oblag es, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Welche Krankenhäuser können im Falle eines Falles wie viele Verletzte mit Schusswunden versorgen? Welche Rettungshubschrauber sind verfügbar, wenn es zur Katastrophe kommt? Welche Einsatzkräfte müssen wann von wem abgelöst werden, wenn sich die Verhandlungen hinziehen?

Zur Eskalation kam es am Montag nicht. „Ich bin überglücklich, dass die Polizei so besonnen reagiert hat“, sagt Thöne. Dennoch gab es für die Helfer eine Menge zu tun: Eine wichtige Aufgabe war die Betreuung der befreiten Geiseln und der besorgten Angehörigen, Freunde und Kollegen. 150 Menschen wurden vom Kriseninterventionsteam versorgt. Auch Thöne ist ausgebildeter Notfallseelsorger. Dennoch: „Der Augenblick, in dem wir die Familien und die befreiten Geiseln zusammenbrachten, hat mich emotional sehr betroffen gemacht.“