Ingolstadt
"Wir nehmen Mittelschüler mit Handkuss"

Kreishandwerksmeister Max Hechinger wirbt um Auszubildende im Handwerk

29.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:14 Uhr

Foto: Annika Schneider

Ingolstadt (DK) Immer noch suchen einige Schüler eine Lehrstelle für diesen Herbst. Dass entgegen der gängigen Meinung auch Mittelschüler gute Chancen haben, erklärt Max Hechinger, Bauunternehmer und Kreishandwerksmeister, im Interview – sie müssten sich nur die richtigen Branchen heraussuchen.

Ist es für Mittelschüler einfacher, im Handwerk unterzukommen als im kaufmännischen Bereich?

Max Hechinger: Im kaufmännischen Bereich ist der Wettbewerb natürlich viel größer. Im Handwerk stehen ihnen alle Möglichkeiten offen.

 

Gilt das für alle handwerklichen Berufe?

Hechinger: Ja. Wir haben jetzt zum Beispiel zwei duale Studenten mit Abitur bei uns im Bauunternehmen. Das ist eine Bereicherung. Aber das ist keine Forderung unsererseits. Wir sind mit arbeitsbereiten, engagierten Jugendlichen aus der Mittelschule sehr gut bedient und nehmen die mit Handkuss.

 

Was für Erfahrungen haben Sie mit Mittelschülern gemacht?

Hechinger: Einige sind besser, andere schlechter. Wenn wir den Jungen und Mädels Engagement beibringen können, dann ist alles gut. Natürlich müssen sie in der Berufsschule etwas lernen, aber das ist keine Hürde, wenn sich einer mal ein bisschen hinsetzt. Wir müssen die Jungen einfach wieder auf die Spur bringen, die haben oft sehr viele Niederlagen erlebt. Viele kommen aus zerrütteten Familien. Wenn das Umfeld die ganze Zeit sagt: Du bist ja bloß ein Hauptschüler, dann ist das blöd.

 

Hat sich das in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Hechinger: Es ist schwieriger geworden, engagierte Jugendliche zu finden. Ich mache das seit 1973. Gefühlt meinen wir, dass die Schüler in den letzten Jahren schlechter geworden sind. Aber andererseits gab es schon immer auch gute Schüler: Unsere Firma zum Beispiel besteht zur Hälfte aus ehemaligen Lehrlingen.

 

Geht das Handwerk denn gezielt auf Mittelschüler zu?

Hechinger: Ja, wir gehen in die Klassen und werben richtig. Und wir führen Schüler in die Betriebe. Da lernen die Kinder den Beruf und die Chefs kennen. Das Problem ist, dass die Gesellschaft sagt, wer kein Abitur hat, ist nichts wert. Die Eltern oder Großeltern drängen ihre Kinder zum Abitur, auch wenn die dazu gar nicht in der Lage sind.

 

Sind auch die Anforderungen in der Berufsschule gestiegen?

Hechinger: Nein, das glaube ich nicht. Einige machen das mit links, andere nicht. Zum Teil tun die Mittelschüler sich schwer mit Lesen, Rechnen und Schreiben.

 

Gibt es Betriebe, die ihre Auszubildenden speziell für die Berufsschule fördern?

Hechinger: Ja, die gibt es. Im Handwerk hat der Durchschnittsbetrieb vier bis fünf Beschäftigte. Da ist der Chef sehr nah dran. Aber wir vermissen sehr oft die Bereitschaft des Lehrlings. Der dreht sich eher weg und sagt: kein Bock. Das erleben wir gefühlt immer öfter. Im Handwerk sind wir eben nicht die, wo die Schüler von Haus aus gerne hingehen. Die kommen erst zu uns, wenn sie nichts anderes finden. Wenn Audi uns die dann noch wegnimmt und die Mittelschüler besonders beschult, haben wir wieder einen Teil verloren. Diese Spirale geht nach unten, und die Qualität wird immer schlechter.

 

Und irgendwann verzichten sie doch auf Mittelschüler?

Hechinger: Wer das macht, der verbaut sich seine Zukunft. Was tut denn ein Handwerker ohne Mitarbeiter? Wer keinen hat, der Wurst macht, der kann seine Metzgerei zusperren. Wir sind auf die Mittelschüler angewiesen – und sie auf uns.

 

Welche Perspektiven haben denn Mittelschüler im Handwerk?

Hechinger: Ein typischer Weg ist es, erst die Lehre zu machen, nach zwei Jahren den Gesellen und dann die Meisterprüfung. Damit ist die Hochschulreife erreicht, man kann sich selbstständig machen, einen Betrieb als angestellter Geschäftsführer leiten oder studieren. Wer zwei Jahre auf der Baustelle war, weiß auch, wie es dort zugeht. Und ein ausgelernter Maurer bekommt 15 Euro in der Stunde, die Handwerker haben alle ein eigenes Haus oder mindestens eine Eigentumswohnung. Ich selbst habe als Maurer angefangen und hatte schließlich ein Unternehmen mit 200 Angestellten. Zum Jahresanfang habe ich die ganze Firma an einen Mitarbeiter verkauft, der mein Lehrling war.

 

Das Gespräch führte

Annika Schneider.