Ingolstadt
Wenn das Warten zum Alltag wird

397 Asylbewerber leben im Moment in Ingolstadt – Ein Besuch in einem Wohnblock

31.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:24 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Sie haben oft Schlimmes erlebt und auch ihr Weg nach Deutschland war nicht immer einfach: 397 Asylbewerber leben derzeit in 22 Ingolstädter Unterkünften. Für viele von ihnen heißt es vor allem: Warten. Die Stadt sucht währenddessen weitere Wohnungen, es kommen wohl noch etliche mehr.

Violet Ajayi kommt aus dem Norden Nigerias, aus Sokoto, einer Stadt so groß wie Ingolstadt und Augsburg zusammen. „Es war ein gefährliches Leben“, sagt die 24-Jährige, die inzwischen im Ingolstädter Nordosten lebt. In einem Haus, in dem es 30 weitere Wohnungen gibt, in denen Menschen leben, die ähnliche Geschichten zu erzählen haben. Ihre größte Herausforderung ist jetzt die Geduld, aber auch das kann zur Belastung werden. Viele warten lange auf eine Antwort des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Die junge Frau verkaufte Gemüse auf dem Markt, nicht gerade das, was sie sich für immer vorgestellt hatte. Aber sonst gab es keine Jobs, nur Korruption und Gewalt. „Es gab immer wieder Kämpfe, Gruppen wie Boko Haram, die einfach so auf dich schießen“, erzählt sie. Violet Ajayi floh, ganz allein. Sie bezahlte Schlepper, die jeden Tag zigtausende Menschen nach Europa schleusen. Die einen kommen durch, die anderen, das sind die meisten, scheitern. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann versuchen sie es wieder.

Die Schlepper brachten die Frau zum Mittelmeer. „Wir sind gelaufen, tagelang“, erzählt sie. Sie gelangten nach Libyen, stiegen dort in ein kleines Boot, 30 Flüchtlinge, die weitere Tage um ihr Leben bangten. Ihr Ziel war Griechenland, wo mehr als eine Million Flüchtlinge in riesigen Lagern leben. Die Zustände beschreiben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International als verheerend. Die junge Frau erreichte das Land und schaffte es irgendwie weiter nach Deutschland, wo sie schließlich in München landete. Und dort teilte man sie Ingolstadt zu, wo sie seit November 2012 lebt, als eine von derzeit 397 Asylbewerbern.

Die Stadt geht davon aus, dass die Zahl nicht kleiner wird. Mehrere hundert Asylbewerber könnten bis Ende des Jahres noch dazukommen. Deswegen gibt es seit 1. Juni ein neues Sachgebiet, das sich ausschließlich mit dem Thema befasst. Leiterin ist Bettina Nehir. Sie ist, zusammen mit der Caritas, für die Beratung und Betreuung der Asylbewerber zuständig, wenn diese etwa wissen wollen, wie sie zu einem Arzt kommen, wo es günstiges Essen gibt und wie sie ihren Alltag strukturieren können. Dazu gehören auch gemeinnützige Arbeit oder die Unterbringung in Berufsschulen. Bettina Nehir hilft ihnen auch, in Sprachkursen Deutsch zu lernen, kümmert sich darum, dass die gut 50 ehrenamtlichen Helfer gut eingesetzt sind, und schaut nach den Unterkünften, die die Stadt beschafft hat.

„Das ist eigentlich eine staatliche Aufgabe“, sagt Sozialreferent Wolfgang Scheuer. „Aber bei uns verdichtet sich der Verdacht, dass er dem nicht so nachkommt.“ In Ingolstadt gibt es keine Gemeinschaftsunterkünfte, die der Staat unterhalten müsste, stattdessen 22 sogenannte dezentrale Einrichtungen. „Vor etwa sechs Jahren ist die letzte Unterkunft geschlossen worden“, sagt Christine Einödshofer, Leiterin des Sozialamtes. So habe es damals der Rechnungsprüfungshof verlangt, da nur noch wenige Asylbewerber nach Oberbayern gekommen seien. „Seit 2011 gibt es wieder einen Aufschwung – aber solche Dinge wieder aufzubauen, ist brutal schwer.“ Und so muss sich die Stadt um Wohnraum kümmern und die Betreuung organisieren. Das Zusammenleben in den Unterkünften funktioniere, sagt Einödshofer. „In manchen besser, in anderen schlechter.“ Scheuer ergänzt: „Aber das ist kein Asyl-, sondern ein ganz normales Wohnphänomen.“ Mit den Asylanträgen selbst hat die Stadt nichts zu tun. „Wir bohren da nicht nach“, sagt Bettina Nehir. Das sei Aufgabe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Und das bewältigt den Asylbewerberschwung offenbar auch nicht gerade problemlos.

Giti Sedigh kam vor zwei Jahren aus Afghanistan. Sie war ihrem Cousin versprochen, heiratete aber einen anderen. Und so floh die heute 22-Jährige mit ihrem Mann sowie dessen Bruder und Mutter vor der Rache ihrer eigenen Familie. Eine Antwort auf ihren Asylantrag haben die vier bis heute nicht – als üblich gilt eine Bearbeitungszeit von drei bis sechs Monaten. Andere Afghanen hätten schon längst ihre Papiere erhalten, sagt Giti Sedigh. „Ich warte immer noch.“

Genauso wie Osaretin Ohanmu aus Benin City in Nigeria. 2011 floh der 30-Jährige von dort, in Ingolstadt teilt er sich eine Wohnung mit drei anderen Nigerianern. Er sei bislang nicht einmal vom Bundesamt befragt worden, erklärt er. Dabei sei es so: „Kein Ausweis, kein Job.“ Sein Mitbewohner Victor Amaechi hatte seine Befragung schon. „Aber ich weiß nicht, wie meine Chancen sind.“ Und er könne auch nicht arbeiten, da er – wie viele andere auch – nicht einmal ein Bankkonto eröffnen konnte.

Violet Ajayi hat dieselben Probleme. „Ich würde gerne irgendwas tun und mir mein Geld verdienen“, sagt sie. „Und ich würde gerne bleiben, eine Familie gründen, einen Beruf lernen und ein besseres Leben führen.“