Ingolstadt
Nächtliche Muskelspiele

IG Metall lässt mit Warnstreik bei Audi am frühen Freitagmorgen die Bänder stillstehen Weitere Aktionen

12.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Foto: Cornelia Hammer

Ingolstadt (DK) Dass Audi in der Nacht zum Freitag rund 200 Autos etwas später als geplant gefertigt hat, wird den Konzern wohl nicht ins Wanken bringen. Dennoch dürfte der Warnstreik der Nachtschicht als Signal in der Führungsebene wahrgenommen worden sein: Die IGM hat mal kurz die Muskeln spielen lassen.

Die Ingolstädter Audi-Belegschaft mit ihrem hohen Organisationsgrad ist für die IG Metall eine Macht. Nirgendwo sonst in Bayern können die Metaller in Tarifrunden auf Zuruf hin ein Drohpotenzial von solchem Kaliber aus dem Hut zaubern. Vor allem nachts. Im mitgliederstärksten IGM-Bezirk des Freistaates ist es also eine leichte Übung, auch nach Mitternacht mal rund 4000 Arbeitnehmer für Lohn- und Rahmentarifforderungen zu mobilisieren. Und das macht man dann auch: Zum Warnstreik im Karosseriebau Süd war am Freitagmorgen fast alles auf den Beinen, was zu diesen frühen Stunden im Audi-Werk zu tun hat. Für zweieinhalb Stunden standen die Bänder still.

Mit ihren Hauptforderungen - sechs Prozent mehr Lohn und individuelle Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 28 Stunden bei familiärem Anlass mit gewissem Lohnausgleich und Rückkehrrecht in Vollzeit - stützt sich die IGM auf Mitgliederbefragungen. Deshalb braucht sie jetzt, in der Warnstreikphase vor der dritten Verhandlungsrunde am kommenden Montag, nur auf den Knopf zu drücken, um sich lautstark Rückendeckung bei den Belegschaften der Metall- und Elektroindustrie zu holen. In der Audi-Werkhalle wurden von Rednern und (mit Trillerpfeifen und Signalhörnern ausgerüsteten) Kundgebungsteilnehmern entsprechend hohe Phonzahlen erreicht.

Jörg Schlagbauer, langjähriger Chef des sogenannten Vertrauenskörpers der Gewerkschaft beim Ingolstädter Automobilhersteller und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, ist bei solchen Veranstaltungen von einem Klassenkämpfer des frühen 20. Jahrhunderts kaum zu unterscheiden. Unter donnerndem Applaus schmetterte er altbekannte Parolen: "Wir wollen endlich das, was uns zusteht - die feudale Zeit der Gutsherren ist vorbei." Natürlich aber gab es auch konkrete Forderungen zur aktuellen Verhandlungsrunde: Die Arbeitnehmer, so Schlagbauer, wollten endlich Arbeitszeitmodelle, "die zu unserem Leben, zu unseren Bedürfnissen und zu unseren Familien passen". Dringe man mit dem Forderungspaket nicht durch, so der IGM-Funktionär, gehe man auf Arbeitnehmerseite "weiter auf die Straße". Auch 1. IGM-Bevollmächtigter Johann Horn, in Metallerkreisen kurz "Jacky" genannt und bei seiner Rede von entsprechenden Sprechchören begleitet, drohte bereits mit weiteren Streikaktionen und Urabstimmung, wenn sich bei den Metallarbeitgebern in nächster Zeit nichts bewegen sollte.

Und auch wenn alle wissen, dass der Hauptknackpunkt in den Verhandlungen die von der IGM geforderten Arbeitszeitreduzierungen sind, will die Gewerkschaft die Lohnkomponente nicht nur als Hintergrundthema wahrgenommen sehen. Horn: "Die Dividenden steigen jedes Jahr um zehn Prozent, und wenn wir sechs Prozent verlangen, ist das schon zu viel." Das bisherige Arbeitgeberangebot von zwei Prozent nannte der regionale IGM-Chef "vergiftet", weil es mit der Forderung nach Ausdehnung der Wochenarbeitszeit verbunden sei. Das sei mit der Gewerkschaft nicht zu machen.

Barbara Resch aus dem Vorstand der bayerischen IG Metall und Mitglied der Verhandlungskommission, lobte als Gastrednerin die landesweit große Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen. Allein am Donnerstag haben nach ihren Worten landauf, landab rund 50 000 Arbeitnehmer die Gewerkschaftsforderungen unterstützt. Auch Resch betonte die Bedeutung der Arbeitszeitreduzierung im Forderungspaket der IGM: "Alle haben immer nur von der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie geredet - wir packen es in dieser Tarifrunde an." Über die Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit der Metaller bei diesem Thema solle sich niemand täuschen, so Resch. Sie sieht die Gewerkschaft und ihre Mitglieder jedenfalls vor einer "richtig harten Auseinandersetzung - vielleicht so hart wie seit 20 Jahren nicht mehr".

Audi-Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch sprach nur ein paar Grußworte, ließ es aber dabei nicht an Kampfrhetorik fehlen. Im Vorstand des Unternehmens dürfe sich niemand der Hoffnung hingeben, es könne bei kurzen Drohgebärden bleiben. Der Betriebsratschef: "Wenn die sich querstellen, stehen hier bei Audi weiter die Bänder still."

Am Freitag sind die Aktionen der IGM tagsüber in Ingolstadt weitergegangen. Bei Schaeffler an der Ettinger Straße und bei den GVZ-Betrieben Scherm und Imperial folgten zur Mittagszeit bzw. am frühen Nachmittag insgesamt knapp 700 Arbeitnehmer dem Aufruf zu Warnstreiks. Auch bei den Lichtspezialisten Osram und Ledvance in Eichstätt wurde mit befristeten Arbeitsniederlegungen (150 Teilnehmer) Nadelstiche gesetzt. Die Gewerkschaft sieht sich durch die durchweg hohen Beteiligungszahlen für die neue Gesprächsrunde am Montag motiviert und gestärkt.