Ingolstadt
Der lange Weg zur Arbeit und zurück

Einzelfall aus dem Westen belegt exemplarisch: Fahrplanausdünnung würde Bus völlig unattraktiv machen

23.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr

Martin Scherbaum an seiner angestammten Haltestelle in Mühlhausen. Bereits jetzt will jede Fahrt Richtung Audi genau überlegt sein. - Foto: Heimerl

Ingolstadt (DK) Der Finanzbürgermeister macht Druck: Auch die INVG soll sparen und Takte strecken. Schon steht für den ländlichen Ingolstädter Westen das Szenario ausgedünnter Buslinien im Raum. Das Beispiel eines Audianers aus Mühlhausen zeigt, wie so etwas manchen Fahrgast verschrecken würde.

Martin Scherbaum hat ein Auto, aber er möchte es nicht unbedingt täglich für den Weg zur Arbeit nutzen. Der Audi-Ingenieur hat bis vor drei Jahren in Seehof gewohnt und war - damals noch Bahnpendler - einigermaßen glücklich mit seinen Busverbindungen zum Hauptbahnhof. Als er sich mit Bauplänen trug, war es ihm wichtig, sich nicht zu weit von Ingolstadt zu entfernen: "Ich wollte im INVG-Gebiet bleiben." Auch aus diesem Grund in Mühlhausen sesshaft geworden, konnte sich der inzwischen 49-jährige Familienvater bislang auch dort aus den Fahrplänen zweier Buslinien (60 und Audi-Sonderlinie S 4) seine Fahrzeiten so aussuchen, dass er damit - einigermaßen - zurechtkam.

Einigermaßen - das bedeutet in diesem Fall auch: mit viel gutem Willen. Denn bereits jetzt investiert der Audianer viel Zeit in seine Busreisen zum Autowerk im Nordwesten und wieder zurück in seinen ländlichen Wohnort ganz im Westen der Stadt. Je nach Erfordernis und dazu passender Verbindung und auch je nach Umsteigesituation (zweimal mindestens, ab und an auch dreimal) dauert eine Hinfahrt derzeit zwischen 40 und 50 Minuten.

Bei der Rückfahrt kommt Scherbaum, der akribisch individuelle Fahrttabellen zusammengestellt hat, wegen der nachmittags und abends schlechteren Anschlüsse je nach Feierabendzeit auf eineinviertel bis eineinhalb Stunden. Alles in allem verbringt er für diese Busfahrten zum und vom nur rund zwölf Kilometer (Luftlinie) entfernten Arbeitsplatz also täglich rund zwei Stunden im Bus. Hinzu kommen jeweils noch ein paar Minuten Fußweg. Da braucht man schon auch ein wenig Idealismus, um nicht ganz schnell aufs Auto umzusteigen.

Diese Alternative wird wohl auch Martin Scherbaum ernsthaft in Erwägung ziehen (müssen), wenn die Ideen aus der Chefetage der INVG, die bereits im Frühsommer im Beirat des Nahverkehrsunternehmens publik geworden sind, Realität werden sollten. INVG-Geschäftsführer Robert Frank hatte dort angedeutet, dass die aus dem Rathaus an ihn herangetragenen Einsparungsvorstellungen auch Taktverlängerungen auf einzelnen Strecken mit sich bringen könnten - vorzugsweise auf der Linie 60 in den weiten Westen des Stadtgebietes, wo auf einer Strecke von 18,3 Kilometern (einfach) nach jüngster Analyse werktäglich gut 3700 Fahrgäste gezählt werden.

Noch ist nichts entschieden, und bei der INVG wird man, so verlautet derzeit aus dem Unternehmen, frühestens im Oktober in die politische Abstimmung gehen können, doch im Westen sind Leute wie Martin Scherbaum aufmerksam geworden: Droht die Taktverschlechterung, droht der Fahrgastschwund auf dem Fuße. Bereits 2005 hatte die INVG mit einem radikalen Sparkurs viele Busfahrgäste erst verprellt und dann (oft dauerhaft) verloren. "Unterm Strich würde wohl auch diesmal ein Verlustgeschäft dabei herauskommen", mutmaßt bereits ein Beobachter aus dem politischen Raum.

Martin Scherbaum hat für die drohende Sparrunde bei der INVG vor dem Hintergrund einer ökologisch und verkehrstechnisch wünschenswerten Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs kein Verständnis. Er befürchtet eine völlig falsche Ausrichtung des ÖPNV und damit einen zwangsläufigen Attraktivitätsverlust - schlimmstenfalls eine dauerhafte Abwärtsspirale. Scherbaum: "Wenn ich einen Hühnerstall habe und so wenige Hühner, dass ich letztlich nur noch ein Ei verkaufen kann, das dann 60 Euro kostet und das niemand haben will - dann sage ich natürlich: Eier zu verkaufen, das lohnt sich nicht."

Der Audianer hat zwar keine Nachbarschaftsumfrage gemacht, doch er geht davon aus, dass allein in seiner unmittelbaren Wohnumgebung in Mühlhausen mindestens sechs weitere Audi-Mitarbeiter für attraktive Busverbindungen ins Werk begeistert werden könnten. Er hofft, dass sich in der politischen Diskussion der INVG-Sparpläne noch Gegenstimmen erheben werden.

Zeit dazu wäre diesmal mehr als in früheren Jahren: Das Verkehrsunternehmen will einen Fahrplanwechsel mit Blick auf eine längere Abstimmungsphase nicht bereits im Spätherbst, sondern frühestens im nächsten Sommer vornehmen. Geschäftsführer Robert Frank betonte gestern gegenüber dem DK, dass in diesem Herbst im INVG-Aufsichtsrat überhaupt erst darüber entschieden werden soll, wann der Fahrplanwechsel mit möglichen Änderungen in Kraft treten soll: im nächsten Sommer oder gar erst im nächsten Herbst. Frank geht davon aus, dass sich die Stadtratsfraktionen nach der Sommerpause in Ruhe ein Lagebild machen und darüber entscheiden werden, ob überhaupt und - wenn ja - auf welchen Linien Taktverlängerungen infrage kommen könnten.

Frank hatte zwar selber die Linie 60 ins Spiel gebracht, er unterstreicht aber auch, dass er keinesfalls für den totalen Kahlschlag bei den Busverbindungen im Westen eintritt. Es sei für ihn vorstellbar, im innerstädtischen Abschnitt der Linie 60 im Schüler- und Berufsverkehr den 15-Minuten-Takt zu halten und zu den fahrgastschwächeren Zeiten zu einem 30-Minuten-Turnus zu kommen, was lediglich für die Gerolfinger eine Verschlechterung mit sich bringen würde. Den erst 2014 eingeführten Halbstundentakt in die weiteren westlichen Ortschaften infrage zu stellen, sei erst in einem weiteren Schritt denkbar, der aber keinesfalls favorisiert werde.