Ingolstadt
Unterwegs im Ingolstädter Milieu

Mit Autorin Carmen Mayer auf Spurensuche an den Schauplätzen ihres neuesten Krimis

01.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:07 Uhr

Foto: Andrea Hammerl

Ingolstadt (DK) Ein Zuhälter ist ermordet worden, und dann muss sich Kommissar Walter Braunagel auch noch mit den Leichen dreier Neugeborener befassen. Ins Rotlichtmilieu und in tiefste Abgründe der menschlichen Seele führt Carmen Mayers fünfter Braunagel-Krimi "Kellerasseln". Eine Tour mit der Autorin zu den Schauplätzen ihrer Geschichte.

Vor 15 Jahren hatte sie schon einmal die Idee gehabt, Inzest und Missbrauch in einem Krimi zu thematisieren. Damals fand sie keinen Verlag dafür. Das Thema ließ die heute 67-Jährige jedoch nicht los, "weil ständig in der Zeitung irgendetwas über Kindsmord, Vergewaltigungen und Missbrauch stand". Zudem erfuhr sie bei ihrer Recherche für andere Krimis Geschichten von Frauen, die - oft innerhalb des engsten Umfeldes - missbraucht worden waren.

Für den DONAUKURIER hat sich die Ingolstädter Krimiautorin auf Spurensuche an Tatorte und sonstige Lokalitäten begeben, die in ihrem neuesten Werk eine Rolle spielen. Wir treffen uns am Eingang des Polizeipräsidiums, um einen Blick in Kommissar Braunagels Büro zu werfen. Der ist zwar fiktiv, doch sein Büro hat sie tatsächlich den Räumen des Kommissariats in Ingolstadt nachempfunden, konkret dem Büro des früheren Polizeipressesprechers Heinz Rindlbacher, der sie seit dem ersten Braunagel-Krimi fachlich berät.

Mittlerweile ist er Chef in Eichstätt, doch das Büro von Manfred Schallerer, Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter des Kommissariats 1, somit zuständig für Mord und sonstige Gewalttaten, sieht genauso aus. Dass sich Schallerer Zeit für sie nimmt, bringt die sonst so schlagfertige Autorin kurzfristig aus dem Konzept. Nein, auf die Schnelle fallen ihr keine Fragen an den Chef ein, aber "ich werde darauf zurückkommen", verspricht sie. Mit dem Kriminaldauerdienst (KDD) hat sie sich dagegen schon öfter bei der Recherche befasst, und so löchert sie Ersten Kriminalhauptkommissar Michael Gastl, Chef des KDD, des Herzens der Kripo, sogleich mit Fragen. Ein beachtliches Bündel Papier liegt bei ihm auf dem Tisch - die Zusammenfassung des vergangenen Wochenendes. "Wir sind die, die rund um die Uhr Straftaten aufnehmen", erklärt Gastl, "wir fahren hin, machen Fotos und führen die polizeiliche Leichenschau durch - obwohl wir keine medizinische Ausbildung haben". Beim Stichwort "Polizeiliche Leichenschau" assoziiert Mayer ein Messer in der Brust. "Das ist noch einfach", sagt Gastl und erzählt von Blutergüssen, Schmauchspuren, Nasenbeinbrüchen, einem Ledergürtel, der keineswegs als Selbstmordutensil, sondern vielmehr als Aufstehhilfe diente, und sonstigen eher unauffälligen Dingen, auf die der KDD bei ungeklärten Todesfällen achten muss. "Ich dachte, das macht die Gerichtsmedizin", wundert sich Mayer.

Mit Polizeioberrat Hans-Peter Kammerer, Kriminalhauptkommissarin Michaela Grob und ihrem Kollegen Jürgen Weigert bespricht sie eine mögliche Lesung im Präsidium, eventuell im Schießkino, dann geht es wieder mit dem Aufzug, dessen Stockwerksansage genauso lispelt wie in ihren Krimis beschrieben, ins Erdgeschoss hinunter.

Weiter mit dem Auto in den Ingolstädter Norden, die Nürnberger Straße hinauf, wo anonyme Hochhäuser auf der einen Straßenseite Siedlungshäusern aus den 50er- und 60er-Jahren auf der anderen gegenüberstehen, ganz so, wie es der Kommissar und seine Kollegin Maxi Wöhrl im Roman erleben.

Mayer arbeitet stets so, dass sie authentische Orte verwendet und während der Recherche für ihr Buch auch tatsächlich aufsucht. Was der Grund dafür war, dass sie ihren Kommissar Braunagel, der seine ersten beiden Fälle in Würzburg löste, für den dritten Band "Kreuzzeichen" nach Ingolstadt versetzte - das war einfach praktischer. Auch das Haus, in dem die Leichen der Neugeborenen gefunden werden, existiert wirklich. Ehemann Rudi hat sie darauf aufmerksam gemacht. Es steht seit vielen Jahren leer, doch als Kind war der heute 78-Jährige dort bei zwei entfernten Tanten öfter zu Besuch.

Das Etablissement Wildcats dagegen, das die Polizisten im Roman für ihre Ermittlungen ebenfalls aufsuchen, hat kein authentisches Vorbild, das wäre ihr doch etwas zu heiß gewesen. In solchen Fällen nimmt sie zwar schon mal das eine oder andere Gebäude in Augenschein, versetzt es dann aber gerne auf ein leer stehendes Grundstück, damit keine falschen Schlüsse gezogen werden. Aber Carmen Mayer wäre nicht Carmen Mayer, wenn sie keine druckreifere Erklärung finden könnte. Mit unschuldigem Augenaufschlag meint sie, die Typen aus dem Münchener Milieu hätten das Wildcats wohl abgefackelt, anders könne sie es sich nicht erklären, dass es nicht mehr zu finden sei. Weniger dramatisch ergeht es einem Torbogen aus der Kupferstraße. Den hat sie nur in die Roseneckstraße versetzt.

Rundum authentisch ist Braunagels Stammcafé in der Altstadt, wo er sich regelmäßig einen Cappuccino mit Bienenstich bei Wirt Kilian bestellt. Der heißt im richtigen Leben Ralf Oberhofer. "Meine Gäste wissen, dass Kommissar Braunagel hier regelmäßig Gast ist", sagt er augenzwinkernd und zeigt auf einen Ecktisch, dort sitze "Brauni" üblicherweise. Seine Fans freuten sich schon auf das nächste Buch.

Carmen Mayer bestellt Cappuccino, der Bienenstich kommt automatisch dazu. Wie viel der Kilian aus dem Buch von Ralf hat? "Der ist identisch" sagt Oberhofer. "Ich habe ihn vorher gefragt", ergänzt Mayer. Wie viele Kriminalfälle er denn schon mitgelöst hat? "Jede Menge", antwortet Oberhofer grinsend und verweist bescheiden darauf, er sei ja nur Tippgeber. Zu seinem Job als Wirt gehöre es, zuzuhören, aber die richtige Lösung des Falles, die müsse schon von Braunagel oder besser gesagt von Carmen Mayer kommen. An ihren Krimis gefällt ihm, dass sie einen realen und gelegentlich auch historischen Hintergrund hätten. Wie die Münstertiefgarage, in der des Zuhälters Wagen gefunden wird und in der jetzt Mayers Auto parkt.

Morde würden allerdings eher selten im Café Maximilian diskutiert, eher schon kleinere Delikte. Nur bei der Geiselnahme im Rathaus, "da waren wir mittendrin im Geschehen", erzählt Ralf alias Kilian, "aber sonst ist es eine ruhige Gegend - wenn nicht gerade um die Ecke ein Zuhälter erschossen wird".

"Kellerasseln", 237 Seiten, ISBN 978-395813-1156, ist bei edition oberkassel erschienen und kostet 12 Euro.