Ingolstadt
Stillarbeit im Angesicht des Krieges

Als Museumsaufseher gilt es, sich im Hintergrund zu halten und dennoch nichts zu verpassen

05.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:23 Uhr

Klarer Durchblick: Zu den Aufgaben eines Museumsaufsehers gehört es auch, Fingerabdrücke auf Glasvitrinen zu beseitigen. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Am Stachus steht ein vielläufiges Revolvergeschütz Kaliber 25,4. Von hier schwärmen die Aufseher des Bayerischen Armeemuseums jeden Morgen – außer am Montag, wenn das Museum geschlossen ist – aus auf ihre Posten in der Ausstellung des Reduit Tilly. Weil hier jeder vorbei muss, haben sie den Raum nach dem belebten Münchener Platz benannt, erfährt der Aushilfsaufseher bei einem ersten Rundgang. Wer im ersten Stock Dienst tut, kommt auf seinem Weg zur Arbeit an Anton vorbei. So wird die Schaufensterpuppe genannt, die hier seit Jahren in einem nachgebildeten Schützengraben steht und über den Rand Richtung Feind späht. „Wir sagen jeden Tag ,Guten Morgen’, aber bisher hat er noch nicht geantwortet“, scherzt Hannelore Bauer, die seit 15 Jahren Aufseherin in den Ingolstädter Museen des Freistaates ist.

Trotz der Routine, dem guten Verhältnis zwischen den Kollegen und der täglichen Präsenz des Schreckens um sie herum, berühren die Exponate der Ausstellung die Aufseher immer wieder. Den neuen wie die altgedienten. Bauer kommt nicht an dem Bild eines Soldaten vorbei, der beide Beine verloren hat und in einem Lazarett zusammengeflickt wurde. Jedes Mal muss sie kurz innehalten oder dem jungen Mann zumindest im Vorübergehen ins Gesicht schauen. „Sein Blick ist in die Zukunft gerichtet, er hat noch etwas vor in seinem Leben“, liest sie aus den Augen des Soldaten. Angesichts dieses Schicksals relativieren sich viele Alltagssorgen des Betrachters, findet Bauer.

Aber es wird an diesem Tag noch Zeit bleiben, sich mit der Ausstellung auseinanderzusetzen. Zunächst beginnt der Arbeitstag mit putzen. Fingerabdrücke werden von jeder Glasvitrine gewischt. An der Scheibe des Glaskastens, in dem ein Periskop ausgestellt ist, hinterlassen regelmäßig vorwitzige Nasen ihre Abdrücke, wenn Besucher durch das Sehrohr blicken. Im August, wenn die Besucherzahlen mit dem Beginn der Ferien abnehmen, werden die Vitrinen innen gereinigt. Zu Schulzeiten sind hier manchmal bis zu 500 junge Besucher gleichzeitig unterwegs. Da bleibt fürs Saubermachen weniger Zeit. „Da geht es dann richtig ab und man muss wirklich aufpassen“, sagt Aufseher Konrad Kirmeier. Vor allem die Exponate, die nicht hinter Glas sind, empfindliche Ölgemälde etwa, bedürfen dann höchster Aufmerksamkeit. Trotzdem ist es auch dann der Anspruch der Aufseher, für die Besucher quasi unsichtbar zu bleiben und nur einzugreifen, wenn es wirklich nötig ist.

Nach dem Putzen und Lüften wird es ruhiger im Reduit Tilly. In der Sonderausstellung „100 Jahre Erster Weltkrieg“ ist es still. In der hintersten Kasematte schweift der Blick über die scheinbar endlose Verlustliste des ersten Kriegssommers. Von irgendwoher kommt ein Flüstern. Das muss die Hörstation einige Räume weiter sein, an der sich Besucher historische Textdokumente vorlesen lassen können. Im Augenblick gibt es niemanden, der sich den Hörer an das Ohr presst. Die Texte fließen ins Leere.

Mit der Zeit wird das Stehen ungemütlich. Krachend knarzt der Holzboden unter dem Entlastungsschritt, dann ist es wieder still. Am anderen Ende des Ganges summt Kirmeier eine Melodie. Er übt Volkslieder. „Wenn keiner da ist, singe ich manchmal“, hat er zuvor erzählt.

Plötzlich nähern sich Schritte. Schnell ist es wieder ruhig. Dann knarzt es wieder. Ein Besucher läuft von Vitrine zu Vitrine. Kurz darauf folgen noch einmal drei. Den Aushilfsaufseher in der Ecke streifen ihre Blicke nur kurz. Ein knappes Nicken, dann wenden sie sich wieder den Exponaten zu. Einer nimmt die Brille ab, senkt den Kopf immer näher an ein Foto heran, berührt es aber nicht. Auch der Herr, der seinen beiden jugendlichen Begleitern in Heavy-Metal-T-Shirts gestenreich die Funktionsweise eines Geschützes erklärt, schafft es, ohne das Exponat anzufassen. Die Reinigungsutensilien können hinter der unscheinbaren Holztür in der Wand bleiben.

Eine Viertelstunde später gehört der Raum wieder alleine den Aufsehern. Durch eine Türe zum Innenhof des Reduit Tilly ist von fern das Mittagsleuten aus der Stadt zu hören. Über den Hof geht es in den Aufenthaltsraum. Hier haben Gäste keinen Zutritt, die Aufseher bleiben unter sich. Es wird gescherzt, eine Kaffeemaschine blubbert, die Mikrowelle summt, Geschirrgeklapper, das Radio läuft. Nach einer halben Stunde Pause geht es wieder zurück in die Stille des Museums.