Ingolstadt
Stammkunde macht auf Überfall

Tankstellenraub: Suchtkranker 'kassiert' drei Jahre Haft und Unterbringung, schrammt aber an Sicherungsverwahrung vorbei

21.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr

Die Tankstelle an der Südlichen Ringsstraße wurde in den vergangenen Jahren mehrfach überfallen. Allerdings konnte bis heute nur der gestern verhandelte kuriose Raub aufgeklärt werden. ‹ŒArch - foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Die Tankstellenbetreiberin ist sich sicher: "Das war kein typischer Raubüberfall!" Dennoch muss der geständige Täter jetzt drei Jahre in Haft und wegen Alkohol- und Drogensucht in Zwangstherapie. Eine Sicherungsverwahrung, die bereits im Raum stand, wurde allerdings nicht verhängt.

Weihnachten war gerade eine halbe Stunde vorbei: In der Bavaria-Petrol-Tankstelle an der Südlichen Ringstraße erscheint am 27. Dezember vorigen Jahres gegen 0.30 Uhr ein Mann, der an der Kasse eine Packung Zigaretten ordert und dann, als es ans Bezahlen geht, plötzlich etwas von einer "Waffe" murmelt. Der Kassierer versteht den Kunden nicht einmal sofort, sieht jedoch, wie sein unmaskiertes Gegenüber den Stoff seiner Jackentasche nach vorne schiebt. "Ein Überfall", fragt der Angestellte ungläubig nach. Der nächtliche Besucher bejaht, steckt aus dem ihm bereitwillig geöffneten Kassenschub mehrere Geldscheine ein und verschwindet.

So kurios dieser Überfall abläuft, so kurios geht es mit der Festnahme des Täters weiter. Denn erstens stellt sich nach Auswertung der Kameraaufzeichnung aus der Tankstelle heraus, dass es sich beim Räuber um einen Stammkunden der Station handelt, und zweitens meldet sich dieser, noch bevor es zu einer Fahndung kommt, abends durch einen Anruf bei der Polizei, die ihn von daheim abholt.

Gestern saß der 32-jährige Ingolstädter im Landgericht auf der Anklagebank und gab vor der 1. Strafkammer unumwunden zu, in dieser Winternacht im klaren Wissen um seine Identifizierbarkeit gehandelt zu haben. Er schilderte den Überfall, bei dem er eine Schusswaffe nur mit den Fingern in der Jackentasche angedeutet hatte, quasi als Zwangshandlung: In einer Phase psychischer Instabilität nach Verlust seines Arbeitsplatzes habe er angefangen, Kokain zu konsumieren. In der Tatnacht sei ihm in einem abklingenden Kokainrausch die Idee zum Überfall irgendwie durch den Kopf geschossen. Er habe gleich gewusst, dass er schnell geschnappt werde, aber einfach so handeln müssen.

Die Strafkammer machte schon eingangs der Verhandlung klar, dass sie angesichts der Umstände (keine Waffe, mit rund 380 Euro nur eine recht geringe Beute, die zudem zwei Tage später von der damaligen Lebensgefährtin des Mannes erstattet worden war) keine Anhaltspunkte für den von der Staatsanwaltschaft angeklagten schweren Raub sah. Doch auch ein einfacher Raub hätte es für den seit dem 14. Lebensjahr an Alkohol gewöhnten, längst schwer abhängigen Mann in sich haben können.

Denn weil der 32-Jährige bereits 13 Vorstrafen (wegen etlicher Diebstähle und Körperverletzungen, aber auch wegen eines Sexualdelikts) und insgesamt schon elf Jahre hinter Gittern verbracht hat, stand für Staatsanwaltschaft und Gericht auch die Frage einer Sicherungsverwahrung im Raum. Wäre sie bejaht worden, hätte der Gelegenheitsarbeiter (kein Schulabschluss, keine Ausbildung) auch nach Verbüßung einer Haftstrafe nicht so schnell wieder in Freiheit gelangen können. Doch so weit kam es gestern dann doch nicht.

Viel hing vom psychiatrischen Gutachter ab, der gestern erst nach einigen Nachfragen der Verteidigung und des Gerichts zu der Einschätzung kam, dass beim Angeklagten seinerzeit eine gewisse Einschränkung der Steuerungsfähigkeit durch vorausgegangenen Alkohol- und insbesondere Kokainkonsum nicht völlig auszuschließen war. Das bereitete dem Gericht den Weg, in der Gesamtschau einen minderschweren Fall von Raub zu erkennen, der wegen des langen Vorstrafenregisters des Täters allerdings mit drei Jahren Haft geahndet wurde (der Staatsanwalt hatte viereinhalb Jahre, der Verteidiger ein Jahr und zehn Monate beantragt).

Das Gericht ordnete zudem eine Zwangstherapie zum Alkohol- und Drogenentzug an, die der Mann als letzte Chance begreifen müsse, so Vorsitzender Jochen Bösl. Breche er ab und komme es nach dem Strafvollzug erneut zu einem schnellen Rückfall in die Kriminalität, drohe unweigerlich die Sicherungsverwahrung.