Ingolstadt
Staatsanwalt fordert die Höchststrafe

Plädoyers im Indizienprozess: Verteidigung sieht die Mordkriterien bei Stefan S. hingegen nicht erfüllt

24.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:25 Uhr
Ermittler der Kripo Ingolstadt führten Stefan S. am Amtsgericht Ingolstadt dem Haftrichter vor. Der Beschuldigte soll einen Getränkemarktleiter in Pfaffenhofen erstochen haben. −Foto: Strisch

Ingolstadt/Pfaffenhofen (DK) Vorschlussrunde im Mordprozess: Wenn es nach dem Staatsanwalt geht, dann wird Stefan S. lebenslang ins Gefängnis müssen. Zudem soll das Gericht dem Willen des Anklägers nach auch eine besondere Schwere der Schuld feststellen. Die Verteidigung geht hingegen von einem milder zu ahndenden Totschlagsdelikt aus.

Die Zeugen sind gehört, alle relevanten Schriftsätze verlesen, die Gutachten erörtert. Am 14. Verhandlungstag hat Vorsitzender Jochen Bösl gestern im Indizienprozess um den Tod des Getränkemarktleiters Dieter H. im Sommer 2013 in Pfaffenhofen die Beweisaufnahme geschlossen und den Vertretern von Anklage, Nebenklage und Verteidigung das Wort für ihre Plädoyers erteilt. Erwartungsgemäß ist Staatsanwalt Jürgen Staudt bei den Vorwürfen geblieben, die bereits in der Anklageschrift stehen: Der inzwischen 39-jährige Stefan S. soll den 61-jährigen Marktleiter demnach am 13. Juli vorigen Jahres aus Habgier überfallen und sein Opfer mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet haben.

Habgier und Tötungsabsicht, um den einzigen Zeugen für seinen Überfall zu beseitigen – das sind laut Staatsanwalt die beiden Mordkriterien, die sich bei dieser „erschütternden Gewalttat“ (Staudt) ausmachen lassen und die den Ankläger dazu bringen, lebenslängliche Haft für Stefan S. zu fordern. Das Vorgehen des Täters mit „maximaler und nicht erforderlicher Gewalt“ spreche zudem für eine besondere Schwere der Schuld. Wird eine solche vom Gericht festgestellt, kann ein zu lebenslanger Haft Verurteilter nicht bereits nach Verbüßung von mindestens 15 Jahren freikommen.

Die Erinnerungslücken, die Stefan S. bei der Polizei und im Verfahren – was das engere Tatgeschehen angeht – immer wieder geltend gemacht hat, sind für den Ankläger rein taktische Schutzmaßnahmen. Staudt: „Ich traue seinen Einlassungen nicht.“ Für den Staatsanwalt steht vielmehr fest, dass Stefan S. am Tattag planmäßig vorgegangen ist, bereits bei Eintreffen im Getränkemarkt einen späteren Raub ins Kalkül gezogen und dann abends seine Absicht zielstrebig und brutal in die Tat umgesetzt hat. Der Täter habe der Spurenlage nach dem Kaufmann aufgelauert, als dieser nach Schließung des Marktes von der Toilette gekommen sei, habe ihn dann – möglicherweise sogar mithilfe eines festen Gegenstands – niedergeschlagen und dann noch auf sein Opfer eingestochen, um den für ihn so gefährlichen Zeugen auszuschalten.

Anschließend, so die Schlussfolgerung des Anklägers, habe S. die Kasse geplündert und die Geldbörse des Opfers an sich gebracht und mit dem erbeuteten Geld – es fehlen bis heute gut 2900 Euro – Schulden beglichen und womöglich auch wieder seine unzweifelhafte Spielsucht ausgelebt. Der Angeklagte sei durchweg konsequent und nach dem Motto „alles oder nichts“ vorgegangen – eine Formulierung, die Stefan S. auch einmal in einem Polizeiverhör selber gebraucht haben soll.

Rechtsanwältin Dagmar Wagner (Halberstadt), die die Witwe und die beiden erwachsenen Söhne des Opfers als Nebenkläger vertritt, schloss sich der Argumentationslinie und den Forderungen des Staatsanwalts voll an. Ihr zum Schluss auch von starken Emotionen geprägtes Plädoyer („Der Tod kann als Schicksal erklärt werden – ein Mord nie“) endete mit einer Botschaft der Familie des Opfers an den Angeklagten: „Meine Mandanten hoffen, dass der Täter jeden Tag an seine Tat erinnert wird.“

Für Verteidiger Peter Gietl steht indes auch am Ende dieses Indizienprozesses nicht fest, dass sein Mandant an jenem schicksalhaften Tag von vornherein auf einen Raubüberfall aus war oder letztlich gar in Tötungsabsicht gehandelt hat. Gietl sieht vielmehr ein allmähliches Hineindriften des Täters in eine Handlungskette mit Weiterungen, die Stefan S. zuvor nicht in dieser Konsequenz gewollt habe. Er habe letztlich einfach die Kontrolle über eine von ihm herbeigeführte, plötzlich eskalierende Situation verloren. Es treffe ihn sicher Schuld am Tod des Marktleiters, aber es sei kein Mord gewesen.

Die angeführten Mordkriterien sieht der Verteidiger nämlich keineswegs als erfüllt an. Der Ankläger habe hier „sehr viel mit Annahmen und Mutmaßungen gearbeitet“, so Gietl. Der vom Staatsanwalt skizzierte Tatablauf sei der Beweisaufnahme nach einfach „nicht objektivierbar“. Dass ein Täter, der mit Vorsatz handele, sich durch seinen am Tatort gut sichtbar geparkten Pkw und durch den Gebrauch von EC-Karten an der Kasse leichtfertig identifizierbar mache, sei schwer vorstellbar. Das verschwundene Geld kann der Argumentation der Verteidigung nach auch nach der Bluttat von einem unbekannten Dritten gestohlen worden sein.

Peter Gietl stellte – offenbar in voller Absicht – keinen eigenen Strafantrag. Dass seine Argumentation auf einen Fall von Totschlag (Haftstrafe nicht unter fünf Jahren) hinausläuft, ist aber unverkennbar. Die Schwurkammer des Landgerichts will ihr Urteil am kommenden Montag verkünden.