Ingolstadt
Sie gehen auf dem Zahnfleisch

Arzt und Dentaltechniker einer inzwischen geschlossenen Ingolstädter Praxis wegen Betrugs vor dem Amtsgericht

26.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:43 Uhr

Ingolstadt (DK) Irgendwann standen die Patienten einfach vor verschlossener Tür. „Geschäftsaufgabe“, hieß es sowohl an der Tür als auch auf der Homepage einer Ingolstädter Zahnarztpraxis, die nun schon seit geraumer Zeit geschlossen ist. Die Räume werden inzwischen längst von einem anderen, völlig unbelasteten Betrieb mit neuem Namen weitergeführt. Doch das Geschäftsgebaren der ursprünglichen Betreiber der Praxis in Ingolstadt wirkt bis ans Ingolstädter Amtsgericht nach, wo sich auch die wahren Hintergründe für die „Geschäftsaufgabe“ offenbaren: Ein 42-jähriger Zahnarzt und ein 61-jähriger Zahntechnikermeister sind dort wegen gewerbsmäßigen Betrugs angeklagt. Seit gestern wird gegen sie verhandelt.

Die früheren Geschäftspartner, die inzwischen selbst im Clinch liegen und beide Insolvenz anmelden mussten, sollen in 162 Fällen die Patienten der Zahnarztpraxis finanziell über das Ohr gehauen haben. Sie boten eine Kiefertherapie mittels einer modernen Schiene an, bei welcher der Dentaltechniker Hand anlegte. Die Abrechnung lief aber über den Zahnarzt, der von den rund 25 betroffenen Patienten, die in der Anklage aufgeführt sind, zusammengerechnet mehr als 21 000 Euro forderte und auch bezahlt bekam. Nach Meinung der Ingolstädter Staatsanwaltschaft hätte der Arzt die Leistung nicht abrechnen dürfen, weil er sie nicht selbst ausführte, und der Technikermeister hätte sie nicht ausführen dürfen, weil solche Handlungen nur den Zahnärzten vorbehalten seien. Die Anklagebehörde beruft sich dabei auf Auskünfte der Landeszahnärztekammer.

Aufgeflogen sind die Männer, weil sie nach zwei Jahren mit ihrer Masche an eine Patientin gerieten, die eben nicht anstandslos zahlte, sondern nach einigem Hin und Her Mitte 2012 zur Polizei ging und Anzeige erstatte. Die Kripo und die Staatsanwaltschaft fühlten dem Praxisduo auf den Zahn und holten dazu umfangreiche Unterlagen aus den Räumen.

Vor Gericht geht es für die Angeklagten um viel. Für den Zahnarzt sogar „um alles“, wie sein Verteidiger Tobias Rudolph sagte. Denn sollte sein 42-jähriger Mandant zu einer etwas höheren Haftstrafe verurteilt werden, wird ihm nach Befürchtung des Anwalts die Zulassung als Zahnarzt entzogen. Die Mindeststrafe für einen einzigen Fall des gewerbsmäßigen Betrugs, wie ihn die Staatsanwaltschaft anklagt, liegt bei sechs Monaten Gefängnis. Aber selbst diese vergleichsweise geringe Marke wäre wohl schon zu viel für die Karriere des Arztes. Aus dem Gericht mit einer Bewährungsstrafe herauszumarschieren und danach den disziplinarischen Hammer durch die Zulassungsbehörde zu bekommen, „das wäre hier ein ganz großer Pyrrhussieg“, sagte Rudolph.

Auch der Dentaltechniker ist in seiner Existenz bedroht. Das aber auf andere Weise. Gegen ihn läuft im Moment am Landgericht Augsburg ein noch größerer Prozess wegen mutmaßlichen Versicherungsbetruges. Der 61-Jährige, der im Landkreis Aichach-Friedberg lebt, soll einen Einbruch bei sich mit „Kunstraub“ samt Beute im Wert von einer halben Million Euro vorgetäuscht haben. In erster Instanz war er in Aichach zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt worden. Sollte sich dies in der Berufung bestätigen, würde das Ingolstädter Amtsgericht angesichts dieser massiven Strafe das eigene Verfahren gegen ihn wohl einstellen. Die Entscheidung fällt Mitte Februar, dann geht es auch in Ingolstadt weiter.

Klar ist aber schon: „Das hier ist ja kein klassischer Betrugsfall“, sagte Richter Christian Veh gestern. In der Praxis seien Leistungen erbracht worden: Die Patienten seien alle behandelt worden und auch alle mit der Behandlung zufrieden gewesen. Das schmälert das mutmaßliche Vergehen der Angeklagten zwar, ändert aber wohl nichts an dem mutmaßlichen Abrechnungsbetrug.