Ingolstadt
Sessel aus dunklen Zeiten

100 Euro für Viererreihe: Alte Bestuhlung des Union-Kinos geht weg wie warme Semmeln

05.08.2012 | Stand 03.12.2020, 1:12 Uhr

Zuschlag erhalten: Edmund Ferstl aus Lobsing (Zweiter von rechts) und sein Neffe Maximilian sind seit Samstagmittag stolze Besitzer von 14 alten Kinosesseln. Das Okay erteilt Wolfgang Schick (Mitte), der Geschäftsführer der künftigen Altstadtkinos - Fotos: Strisch

Ingolstadt (DK) „300 Euro zum ersten, 300 Euro zum zweiten und 300 Euro zum dritten.“ Wolfgang Schick hetzt durch seine Baustelle „Kinosaal Union-Kino“. Alte, plüschige Sessel und tausende Kinoplakate stehen und liegen auf dem wenig ansehnlichen Betonboden, müs-sen raus: „Wir brauchen Platz“.

Offizieller Beginn der Versteigerung im Union-Kino: Samstag, 11.30 Uhr. Der letzte Hammer fällt unwesentlich später. Denn: „Der Andrang war so groß, wir haben früher angefangen“, erklärt Schick, Geschäftsführer der künftigen Altstadtkinos. Und er strahlt am Ende: „Ich bin total überrascht, diesen Ansturm hätte ich so nicht erwartet.“

Andere sind es weniger: Eine Dame fragt, wo denn nun die Kinostühle zu besichtigen seien. Die Antwort „Die sind alle weg“ nimmt ihr erst einmal den Mut, weiter in den stickigen Bauch des Lichtspielhauses vorzudringen. „Aber ich war doch um kurz vor halb hier.“ Schick rettet sich mit seiner Aussage, er könne sich die Wiederholung einer solchen Versteigerung vorstellen. „Vielleicht am kommenden Wochenende.“ Das gefällt allen. Sammlerinnen und Sammlern, Eltern mit und ohne Kindern, Jugendlichen.

Kurz nach 11 Uhr: Durch die Innenstadt läuft ein junger Mann mit drei Kinostühlen unter dem Arm. „Du musst Dich beeilen, da sind kaum noch welche da.“ In der Straße vor und der Gasse neben dem Kino stehen überall rote Stühle. Im hellen Licht wirken sie durchaus renovierungs- oder zumindest säuberungsbedürftig. Stolze Besitzerinnen warten auf die Abholer. Simone aus Gaimersheim weiß noch nicht, wo der Viersitzer später mal steht: „Ich wollte ihn erstmal haben.“ Die 23-Jährige stellt das bereits kurz nach 11 Uhr erworbene Stück „vielleicht ins Geschäft der Eltern oder ich lasse es herrichten.“

Seine Augen schweifen lässt Edmund Ferstl aus Lobsing, andere Bieter ausspähen. Der 44-Jährige ist mit Sohn Lukas (7) und Neffe Maximilian (4) hier. 14 Sessel – zwei Vierer- und zwei Dreierreihen – will er mitnehmen. „Wir haben im Keller einen Raum, da könnte ich mir ein kleines Heimkino mit Beamer vorstellen.“ Als Schick vorbeikommt, muss Ferstl sein Gebot angeben: „300 habe ich bar dabei.“ Okay. „Wer bietet mehr? Niemand? 300 zum ersten, zum zweiten, zum dritten. Sie gehören Ihnen.“ Ferstl nimmt noch ein paar Plakate mit. Fürs passende Ambiente im Keller. Ein Euro das Stück.

Christina (32) und Michael Hofmann (31) haben für 200 Euro einen Achtsitzer erstanden, der vor Ort zerlegt und im dreirädrigen Ape abtransportiert wird. „Vier bekommt mein Bruder für sein Heimkino“, erzählt Christian Hofmann, „die anderen vier kommen in unser Heimkino, das es aber noch nicht gibt.“ Während ihr Mann schraubt, ruckelt und schiebt, erzählt sie weiter: „In diesem Kino haben wir unseren ersten gemeinsamen Film angeschaut. ,Wer früher stirbt ist länger tot’. Ob genau in diesen Sesseln, ist uns egal.“

Als die Kinostühle vergriffen sind, konzentrieren sich die Sammler auf die Plakate. Gebrauchte und neue. „Da lagen im Keller original verpackte Pakete“, weiß Schick. Zur Freude der Sammler. Stephan Wolf (234), Student aus Ingolstadt, nahm sich fünf für die WG in Amberg mit, wo er Medientechnik studiert. Hermann Thummet aus Ingolstadt (48) erstand ein Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn Simon (20), der in Ludwigsburg an der Filmakademie studiert. „Er weiß nichts davon und erfährt es hoffentlich auch nicht vorher.“ Anna Hecker aus Neuburg (20) findet reichlich Plakate von Filmen, „die ich gesehen habe“.

Am Ende der Versteigerung sind knapp 2500 Euro in der Kasse. Der Erlös geht an Unicef. Am kommenden Samstag gibt es doch keine Neuauflage. Vorerst. Schick will sich mit seinen Chefs besprechen. „Vielleicht ergibt sich noch was.“