Ingolstadt
Schmuck für Verstorbene

Totenkronen waren einst weitverbreitet – Expertin referiert in der Alten Anatomie

29.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

Interessierte Blicke: Referentin Sylvia Müller-Pfeifruck zeigte den Besuchern zwei Totenkronen. Die Leihkronen aus dem Pfarramt Schalkhausen bei Ansbach hatte Museumsleiterin Marion Ruisinger als Autopsieobjekte nach Ingolstadt geholt - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Totenkronen sind ein weitgehend vergessenes Phänomen der Bestattungskultur. Dabei waren sie im Europa des 16. bis 20. Jahrhunderts weitverbreitet. Wie weit, das legte die Kunsthistorikerin Sylvia Müller-Pfeifruck aus Berlin jetzt den Besuchern des Medizinhistorischen Museums dar.

Der Vortrag war Teil des vorerst letzten Abends der Reihe Autopsie des Museums, denn ab kommender Woche wird die Alte Anatomie für zwei Monate wegen Umbaus geschlossen (siehe Bericht unten). Und erstaunlich viele Besucher waren gekommen.

Seit 18 Jahren befasst sich Müller-Pfeifruck mit diesem, wie sie sagt, „Thema mit unendlichem Forschungsbedarf“. Einst zierten sogenannte Eigenkronen, oft reich geschmückt und aufwendig gestaltet, mit bunten Bändern versehen, die Kirchen – als erstaunlich fröhliche Erinnerungsstücke an früh verstorbene Kinder und Jugendliche. Müller-Pfeifruck erklärt den Brauch, ledig und jungfräulich Verstorbene mit Kranz oder Krone zu schmücken, als Ersatz für die entgangene Brautkrone. „Die Hochzeit war das wichtigste Ereignis im Leben eines Menschen, das durfte ihm nicht vorenthalten werden“, so ihre Interpretation. Offenbar hätten Eltern in der Vorstellung, das Kind hätte es nun als Braut Christi im Himmel besser, Trost gefunden.

Soweit der christliche Aspekt. Einen archaisch-abergläubischen erwähnt die Referentin ebenfalls. Die Furcht, ein Mensch, dem etwas so Wichtiges wie die Hochzeit vorenthalten geblieben war, könne „zurückkommen“, könnte die Menschen früherer Jahrhunderte bewogen haben, solche Totenhochzeiten abzuhalten. Das mag neben den oft wohl immensen Kosten für Eigenkronen ein Grund dafür gewesen sein, dass sie in manchen Regionen verboten wurden. Allerdings wurde die Obrigkeit damit meist nicht Herr des „europäischen Massenphänomens“, das seine Blütezeit im 18. Jahrhundert erlebte.

In Fränkischen waren statt der teuren Eigenkronen Leihkronen verbreitet. Sie konnten zu erschwinglichen Preisen von den Pfarreien für die Bestattung ausgeliehen werden und wurden auf dem Sarg befestigt. Mitunter wurden dieselben Kronen auch als Brautkronen verliehen, erzählt Müller-Pfeifruck, die umfangreiches Bildmaterial mitgebracht hat, um die Vielfalt der in ganz Europa verbreiteten Totenkronen zu belegen. „Es gab Europa schon vor dem Euro“, meint sie, „nur die Euro-Norm fehlte.“