Ingolstadt
"Schlummernde Immobilien wachküssen"

Architekturforum des Kunstvereins beschäftigt sich mit Leerständen in der Innenstadt

27.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:29 Uhr

Mutige Ideen für neue Raumnutzungen: Architekturprofessor Klaus Overmeyer, Architekt und Moderator C. Alexander Häusler, Raumplaner Oliver Hasemann, Innenstadtfreund Arthur Korndörfer, Stadtplanungschefin Ulrike Brand und Bernd Wölfl von IN-City (von links) vor Modellen im früheren DK-Verlagshaus. Leerstände (rechts das Holdt-Anwesen am Viktualienmarkt) gibt es auch in Ingolstadt zur Genüge. - Fotos: Rössle

Ingolstadt (DK) Werden in leer stehenden Ingolstädter Ladenlokalen beizeiten hippe Kunstprojekte erblühen oder sich von dort gar mehr und mehr Existenzgründer in den Markt wagen? Über Visionen zu diesem Themenfeld ist am Donnerstagabend im Architekturforum des Kunstvereins diskutiert worden.

Die Veranstalter haben selbst vorgemacht, was in länger nicht genutzten Verkaufsräumen möglich ist: Mit Unterstützung des DONAUKURIER haben sie rund ein Jahr lang die frühere Ganghofersche Buchhandlung im ehemaligen Verlagsgebäude an der Donaustraße (auch in Zusammenarbeit mit jungen Münchner Architekten) für Ausstellungen nutzen können. Dieses Projekt läuft nun, da es Neubaupläne für diesen Komplex gibt (DK berichtete), aus. Zum Abschluss hatte der Kunstverein am Donnerstag gemeinsam mit dem städtischen Referat für Stadtentwicklung zu einer Podiumsdiskussion über Zwischennutzungen bei Leerständen geladen. Thema: „Leer und gut.“

Um es vorwegzunehmen: Ohne viel guten Willen der jeweiligen Hausbesitzer wird es wohl nichts werden mit den schönen alternativen Konzepten für verlassene Geschäftsräume, wie sie da von den Referenten vor gut 50 interessierten Besuchern ausgebreitet wurden. Denn was der Architekturprofessor Klaus Overmeyer (Berlin) und der Raumplaner Oliver Hasemann (Bremen) da per Beamer an die Wand warfen, zeugte vor allem von Projekten in und um Immobilien der öffentlichen Hand. Der Steuerzahler, das ist bekannt, macht ja (oft mangels Einfluss) manches mit, was dem privaten Eigentümer noch lange nicht recht sein muss.

Aber immerhin: Dass es Spaß machen kann, wenn Menschen Freiräume bekommen, „ein Stück weit selbst die Welt zu erobern und zu gestalten, wie man sie selber will“ (Overmeyer), wollte in der Runde vom Donnerstag niemand bestreiten. Der Architekt zeigte anhand von Beispielen aus Kassel, Berlin und Wien, wie sich Industriebrachen oder verödete Ladenzeilen zu Keimzellen für neues städtisches Leben entwickeln können – oft mit dem Charme großstädtischer Subkultur. Es gehe darum, „ohne große Investitionen zu beginnen“, verschiedene Elemente „intelligent zu verzahnen“ und über eine „kritische Masse“ mit den Projekten auch in wirtschaftlich interessante Dimensionen vorzustoßen, erläuterte Klaus Overmeyer den Idealtyp einer fruchtbaren Zwischennutzung von größeren Leerständen.

Raumplaner Hasemann hatte das Glück, mit seiner öffentlich geförderten Bremer ZwischenZeitZentrale immer wieder mal „schlummernde Immobilien für eine Zwischenzeit wachküssen“ zu können, wie er sich ausdrückte. Das Spektrum reichte seinen Erfahrungen in der Hansestadt nach von recht profanen bis zu exotischen Nutzungen (unter anderem erwies sich angeblich eine Pflegestation für vorübergehend verwaiste Hauspflanzen als Hit). Wichtig sei die öffentliche Aufmerksamkeit für derlei Projekte, so Hasemann. Zwar sei in Bremen manches von vornherein auf Zeit angelegt, doch habe man es immer wieder mal auch mit langfristig tragfähigen Geschäftsideen zu tun bekommen.

Sind die offenbar so ermutigenden Erfahrungen der beiden Planer in fraglos größeren Städten dann aber auch ein Hoffnungsschimmer für Ingolstadt, wo der Verein der Innenstadtfreunde um den selbst ernannten „Leerstandspapst“ Arthur Korndörfer aktuell gut 70 ungenutzte Geschäftsobjekte in der Altstadt zählt? Korndörfer gab sich auf dem Podium des Kunstvereins bereits positiv gestimmt, weil er zuletzt einen leichten Rückgang der Problemkinder festgestellt haben will. Sein Verein habe jetzt an der Donaustraße (früheres Hillenbrand-Haus) eine künstlerische Zwischennutzung vermitteln können und habe noch Ähnliches in der Pipeline, so der Innenstadtaktivist.

Korndörfers Einschätzung, dass momentan vor allem große Nachfrage nach gastronomischen neuen Nutzungen besteht („Wir könnten vermitteln ohne Ende“), wurde von IN-City-Geschäftsführer Bernd Wölfl geteilt. Der Innenstadtverein zählt in seiner Leerstands-Datenbank derzeit noch 35 Altstadtobjekte, bei denen eine neue Nutzung nottut. Ulrike Brand, Leiterin des Stadtplanungsamtes, verwies darauf, dass es nicht immer nur um gewerbliche neue Nutzungen gehen müsse, sondern dass in der Innenstadt durchaus auch noch weiterer Wohnraum entstehen dürfe – nach Möglichkeit auch mit Mitteln aus öffentlichen Förderprogrammen als Anreiz. Als problematisch beim Zugriff auf manches sanierungswürdige Objekt stellen sich nach den Erfahrungen der Stadt aber immer wieder zerstrittene oder doch zumindest diffizil zu umwerbende Erbengemeinschaften als Eigentümer heraus.

Unter Moderation der Ingolstädter Architekten Chris Neuburger und C. Alexander Häusler entwickelte sich unter Podiumsteilnehmern und Besuchern noch ein munterer Meinungsaustausch. Dass unter den Gästen die Aufgeschlossenheit für Experimente bei Leerstandsnutzungen überwog, war unverkennbar. Besonders starken Applaus erhielt Architekt Overmeyer für eine kritische Anmerkung zur Außenwirkung, die Ingolstadt inzwischen offenbar hat: „Man hat den Eindruck, hier ist schon alles vergoldet.“ Da sei es vielleicht mal an der Zeit, den „Bedarf an den Schnittstellen zwischen Kommerz und Gemeinwohl“ auszuloten.