Ingolstadt
"Salem aleikum" im Krankenhaus

Mithilfe des Goethe-Instituts entsteht am Klinikum Ingolstadt ein muslimischer Besuchsdienst

04.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:51 Uhr

Lotsin durch Krankenhausflure: Die Senegalesin Oumou Sow zeigt einer Besucherin den Weg zum Aufzug. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Christliche Ehrenamtliche besuchen im Klinikum schon seit einigen Jahren die Patienten. Seit Februar absolvieren nun erstmals vier Muslime den Vorbereitungskurs für den Besuchsdienst - im Rahmen eines Projekts des Goethe-Instituts.

Als Abdelali Bouabid 1985 für sein Studium aus Marokko nach Deutschland reiste, war für ihn vieles neu: Aus einem autoritären Staat mit wenigen Freiheiten kam er in die Bundesrepublik und lernte dort nicht nur viele Regeln, sondern auch Verantwortung kennen. Jetzt möchte der Manchinger Ingenieur dem Land, das ihn willkommen geheißen hat, etwas zurückgeben - und geht deswegen jeden Dienstag ins Klinikum.

Dort sitzt an diesem Abend Hakan Sirt, städtischer Beauftragter für den christlich-islamischen Dialog, und reckt zwei Finger zum Victoryzeichen in die Höhe. "Ich bin glücklich", heiße das in manchen Ländern, erklärt er, in anderen Kulturen sei die Geste dagegen eine Beleidigung. Ein Dutzend Menschen lauscht seinem Vortrag zum Thema Körpersprache. Nach Sirt erklären die beiden Krankenhausseelsorger Petra Kringel und Stefan Funk mit bunten Pappsymbolen, was in die Kommunikation zwischen Besucher und Patient alles hineinspielt und was in einem Gespräch schieflaufen kann.

Kringel und Funk bilden schon seit 2012 Ehrenamtliche für den Besuchsdienst aus. 22 Aktive gibt es, hinzu kommen die Teilnehmer im laufenden Kurs, die an 16 Dienstagabenden Themen wie Infektionskrankheiten, Gesprächsführung, Krisenbewältigung und Demenz besprechen. Nach ihrer Ausbildung besuchen die christlichen Ehrenamtlichen wöchentlich Kranke, kommen mit ihnen ins Gespräch und stehen ihnen, wo nötig, bei.

Neu ist, dass dieses Jahr erstmals vier Muslime an dem Kurs teilnehmen, darunter auch Bouabid. "Ich wollte das mit aufbauen", sagt der 56-Jährige mit dem freundlichen Lächeln. Denn hinter dem muslimischen Besuchsdienst, der am Klinikum wächst, steht viel mehr als der Beistand am Krankenbett. "Muslimische Gemeinden als kommunale Akteure" heißt das Projekt, das das Goethe-Institut mit der Förderung der Robert-Bosch-Stiftung 2012 in fünf deutschen Städten startete, darunter auch Ingolstadt. Die Ergebnisse waren je nach Ort unterschiedlich - in Ingolstadt wurde der Wunsch nach einem muslimischen Besuchsdienst deutlich.

"Das ist sehr wertvoll für die Stadt und das Klinikum", sagt Sebastian Johna, Projektkoordinator des Goethe-Instituts, und betont: "Da steckt sehr viel drin." Zum einen geht es darum, dass muslimische Patienten angesichts ihrer Krankheit mit einem Glaubensbruder oder einer Glaubensschwester sprechen können. "Das ist manchmal einfacher mit der gleichen Kultur und Sprache", sagt Bouabid. Bei Bedarf kann der Besuchsdienst Johna zufolge auch zwischen Pflegern und Patient vermitteln - etwa wenn in einem Krankenzimmer stundenlang die Großfamilie dabei ist, wie in manchen Ländern üblich. Der dritte Mehrwert ist die Begegnung zwischen Christen und Muslimen während der Ausbildung. "Wir stehen auf der gleichen Seite", erklärt Bouabid. Schließlich wollten alle Beteiligten, dass Religion im Krankenhaus in Erscheinung trete.

Nach dem Abendseminar sammelt Bouabid mit seinem Mitstreiter Adem Yavuz wie schon in den vergangenen Wochen erste Praxiserfahrungen. "Salem aleikum", grüßen die beiden einen Besucher, der gerade aus dem muslimischen Gebetsraum des Klinikums tritt. Yavuz redet auf Türkisch mit dem Mann, erklärt ihm den neuen Besuchsdienst. Am Ende zückt der Mann seinen Geldbeutel, die beiden Ehrenamtlichen wehren erschrocken ab. Noch habe sich das Ziel des Projekts nicht überall herumgesprochen, sagt Bouabid. Trotzdem seien sie auf einem guten Weg, findet er.

Gemeinsam klappern die Männer die Stationen ab und fragen nach muslimischen Patienten. "Wenn unser Besuch bei zwei von zehn Menschen etwas bringt, ist das gut", sagt Bouabid. Für ihn geht es auch darum, Vorurteile abzubauen. "Wir als Muslime sind jetzt in dieser Gesellschaft", sagt er. "Wir müssen uns nicht verstecken und andere sollen keine Angst vor uns haben." Seelsorgerin Kringel, die das Projekt von Krankenhausseite leitet, berichtet ebenfalls von dem fruchtbaren Austausch zwischen Muslimen und Christen. Wenn es gut läuft, will sie auch im nächsten Jahr muslimische Teilnehmer in den Kurs aufnehmen. Für Bouabid steht fest: "Wenn wir das hier schaffen, fühlen wir uns als Bestandteil von diesem Land."