Ingolstadt
Römer oder Germane?

Neue Vitrine im Stadtmuseum beleuchtet Migration und Integration anhand eines Grabfundes am Beginn der Spätantike

12.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:49 Uhr
Keramiken unterschiedlicher Provenienz zeigt Archäologe Gerd Riedel an der neu gestalteten Vitrine im Stadtmuseum. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Römische und germanische Elemente vereinte ein Grab, aus dem jetzt Beigaben im Stadtmuseum gezeigt werden. Es stammt aus dem Jahr 300. Fest steht: Die im Norden von Audi Bestatteten waren keine frühen Ettinger. Waren sie Römer oder Germanen? Mit oder ohne Migrationshintergrund?

Einheimische, Zuagroasde oder Migranten? Töpferkunst eines Weltreichs oder rätisches Bauerngeschirr? Archäologen früherer Tage waren mit ihren Antworten bisweilen recht schnell. Manchmal vielleicht auch etwas vorschnell. Zeitgenössische Experten beurteilen manche Funde viel differenzierter. Ein schönes Beispiel zeigt das Stadtmuseum in einer neu gestalteten Vitrine, die gerade angesichts der aktuellen Diskussionen von höchstem Interesse ist.

Es handelt sich dabei um die Beigaben eines seltenen und bemerkenswerten Grabfundes. Die drei Bestattungen stammen aus der Zeit um 300 nach Christus und wurden nördlich des Audi-Geländes unter der Fachaufsicht des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege von der Ingolstädter Firma Pro Arch ausgegraben. Bereits 1999 bargen die Archäologen bronzene Pfeilspitzen, Gewandschließe, Gürtelschnalle und Toilettenbesteck sowie einen Knochenkamm. "Verglichen mit Kipfenberg und Pförring sind die Gräber bescheiden ausgestattet", räumt der städtische Archäologe Gerd Riedel ein. "Sie sind aber etwas älter und geben daher einen spannenden Einblick in die Zeit des Aufeinandertreffens von Römern und Germanen, eine Zeit der Migration und Integration."

Die Grabfunde waren bisher nur gelegentlich im Stadtmuseum ausgestellt. Nun sind sie Mittelpunkt einer umgestalteten Vitrine mit dem Thema "Rätien zwischen Römern und Germanen". Sie enthält weitere Neufunde, darunter reich verzierte Gewandschließen und eine große Perle, die ebenso wie die Grabfunde dem Museum geschenkt worden sind.

Besonders aufschlussreich ist, wie so oft in der Archäologie, die Begutachtung der Keramik. Denn die Römer produzierten nicht nur repräsentative Glanztongefäße, sondern auch auffällig derbe, handgemachte Gebrauchsware, die der "geistige Vater" der Archäologischen Abteilung des Stadtmuseum, Rudolf Albert Maier, als "Rätisches Bauerngeschirr" bezeichnete. Er sah Ähnlichkeiten mit handgemachter, römerzeitlicher Keramik der Germanen, die seiner Vermutung nach in die römischen Gutswirtschaft integriert waren. Also Germanensiedlungen hinter der Limesmauer?

Riedel und seine Kollegen sind heute vorsichtiger, wenn es darum geht, Gefäßscherben mit Menschen gleichzusetzen. Die neu ausgestellten Funde, die jetzt die "römische" und die "germanische" Keramik in der Vitrine voneinander trennen, zeigen die Schwierigkeit solcher "ethnischen Deutungen". Denn diese Gräber sind laut Riedel Körperbestattungen nach römischer mit Waffenbeigaben nach germanischer Sitte. Doch wer waren nun die Menschen, die kurz nach dem Rückzug des römischen Militärs außerhalb des Römerreiches bestattet wurden? Haben sich hier "Zugereiste" den neuen Nachbarn oder "Alteingesessene" den Neuankömmlingen angepasst? Die Funde in der neu gestalteten Vitrine, zu der auch ein römisches Trinkhorn (!) zählt, können die Frage nicht beantworten. "Und fragen können wir die Menschen nicht mehr, ob sie sich als Römer oder als Germanen sahen", so Riedel.

Der städtische Archäologe geht vielmehr davon aus, dass seinerzeit an Rhein und Donau die Entwicklung einer neuen Gesellschaft begann, die Religion, Schrift, Rechtsprechung und viele andere wichtige Bestandteile der römischen Zivilisation bis in die Gegenwart bewahrt hat. Riedel spricht denn auch lieber von Kulturkreisen statt von Ethnien. Die umgestaltete Vitrine im Stadtmuseum veranschaulicht diese Anfänge. Fest steht nur, dass diese Gräber mit ihren Beigaben aus der Zeit um 300 nichts mit den heutigen Ettingern zu tun hat. Die haben sich erst ab dem Ende der Spätantike allmählich herausgebildet, das in die Zeit nach 476 (Absetzung des letzten weströmischen Kaisers) oder ab 568 (Einfall der Langobarden in Italien) datiert wird.

Nach dem Verlust des Landes nördlich der Donau und östlich des Rheins hatten sich die Römer im 3. Jahrhundert hinter diese Ströme zurückgezogen und eine neue Verteidigungslinie erichtet. Körpergräber aus der Zeit nach dem sogenannten "Limesfall" mit dem Ende der Kastelle bei Pförring, Kösching, Böhming und Pfünz sind in der Region nach wie vor eine große Seltenheit. Die bekanntesten sind das Grab des "Ersten Bajuwaren" aus Kemathen bei Kipfenberg und das jüngst entdeckte Kammergrab von Pförring, das schon jetzt als archäologische Sensation gilt.