Ingolstadt
"Kein Sterben auf Raten"

Beschäftigte protestieren gegen drohenden Jobabbau bei Rieter und fordern soliden Sozialplan

04.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:50 Uhr

Etwa 150 Rieter-Beschäftigte gingen gestern morgen auf die Straße, um gegen den Stellenabbau am Standort Ingolstadt zu protestieren. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Etwa 150 Beschäftigte von Rieter gingen gestern früh auf die Straße, um gegen den Abbau der Arbeitsplätze in Ingolstadt zu demonstrieren und gegen fehlende Perspektiven für die Arbeitnehmer, die bis Ende nächsten Jahres ihren Job verlieren sollen, weil Rieter Montage und Produktion nach Tschechien verlegt.

Über 200 Arbeitsplätze stehen deshalb am Standort Ingolstadt des Textilmaschinenbauers auf dem Spiel. Die Unternehmensleitung beharrt laut der Gewerkschaft IG Metall auf ihrer Grundsatzentscheidung zur Verlagerung und Personalabbau, sie ignoriere die Risiken und gefährde damit den ganzen Konzern. Damit zeige sich, dass die Geschäftsleitung kaum bereit sei, von ihren Plänen abzuweichen. Der IG-Metall-Vertrauenskörperleiter Joachim Schilling stellt fest: "Es geht nur blind darum, kurzfristig die Profite zu maximieren."

"Wenn die Unternehmensleitung meint, hier verbrannte Erde hinterlassen zu können und sich aus der Verantwortung für die Beschäftigten für ihre Familien stehlen zu können, dann wird sie sich sehr täuschen", mahnt Christian Daiker von der IG Metall Ingolstadt. Rieter habe erst dieser Tage eine Firma für rund 124 Millionen Schweizer Franken "aus der Portokasse" gekauft und die Dividende für die Aktionäre um zehn Prozent erhöht. Geld also sei vorhanden, um einen soliden Sozialplan aufzustellen. Dass die Arbeitsplätze kaum mehr zu retten sind, darüber sind sich Gewerkschaft und Betriebsrat klar. Jetzt gehe es darum, die Zeit bis zur Verlagerung nach hinten zu verschieben und auch eine länger laufende Transfergesellschaft zu etablieren, die es älteren Arbeitnehmern erlaube, in Rente zu gehen, ohne auf Hartz IV angewiesen zu sein.

Natürlich sind auch Abfindungen ein Thema für die Arbeitnehmer, die durch die Verlagerung nach Tschechien ihren Job verlieren und zum Teil über 40 Jahre in der Firma beschäftigt sind. "Das ist in dieser kurzen Zeit nicht machbar", beklagt der Betriebsratsvorsitzende Gerhard Hyna, "wir wollen hier in Ingolstadt auch vernünftige Arbeitsbedingungen für die verbleibenden rund 140 Mitarbeiter." Dass beim Erhalt der anderen Arbeitsplätze "nichts mehr drin" ist, dass weiß Hyna. Aber: "Wir wollen kein Sterben auf Raten."
 

Bernhard Stiedl, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Ingolstadt, unterstrich die Forderungen in seiner Rede. Die Arbeitsplätze fielen nicht weg, weil Rieter in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte, sondern "aus reiner Profitgier und Willkür", sagte er und forderte ein "tragfähiges industrielles Konzept" für Ingolstadt und eine Verschiebung der Maßnahmen. Die Verlagerung ins Ausland bezeichnete er als betriebswirtschaftlichen Unsinn. Er appellierte an das Management am Hauptsitz in Winterthur in der Schweiz, einen Interessensausgleich zwischen Kapitalinteressen und Belegschaftsinteressen herzustellen. Stiedl weiter: "In kaum einem anderen Land ist es so einfach wie in Deutschland, Standorte zu schließen und Arbeitsplätze zu verlagern." Es brauche Hürden, die dies erschwerten. "Arbeitsplätze zu vernichten muss teurer werden, damit es sich weniger auszahlt", sagte er und forderte zugleich mehr Mitbestimmungsrechte.