Ingolstadt
Rätselhafter schwarzer Kontinent

13.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:56 Uhr

Lilian Freund aus Kenia importiert Kunsthandwerk und Kaffee. Ihr ist wichtig, dass die Hersteller nicht ausgenutzt werden.

Ingolstadt (mot) Michael Tonfeld schlendert über das Afrikafest, als gehe er gerade in die Küche: Vorsichtig trägt er eine weiße Plastikschale voller Salatblätter und Gurkenstückchen durch die Massen.

"Oh, haben Sie die jetzt gekauft", fragt eine Frau erstaunt und zeigt auf eine runde Schote, groß wie eine geballte Männerfaust, die zwischen dem Gemüse liegt. "Nein", sagt Tonfeld und lächelt geduldig. "Das ist Wa Bibio, meine Achatschnecke. Im Kinderzelt erzähle ich nachher ihre Geschichte."

Afrika ist ein faszinierender Kontinent. Unglaubliche Armut beginnt gleich am Rand der oft unermesslich reichen Städte, in ein und demselben Land sind blühender Tourismus und blanke Gewalt gegen die Einwohner direkt nebeneinander möglich. Beim zweiten Afrikafest – dem ersten in der Innenstadt nach der Premiere auf dem Donnersberger Gut im vorigen Jahr – wird das sehr schnell deutlich.

Michael Tonfeld steht für das schöne Afrika. Dem fünfjährigen Sebastian aus Wettstetten erzählt er, wie die riesige Schnecke tief im westafrikanischen Dschungel lebt. Sie kennt den Menschen, anders als die heimischen Schnecken, nicht als Feind, und so reckt sie neugierig de Kopf aus der Schale, als Tonfeld sie in die Hand nimmt. Wenn sie sich streckt, ist sie länger als seine Hand. Die Passanten hängen an Tonfelds Lippen – und manch einem stockt der Atem, als Sebastian sie auch einmal nimmt. "Bisschen schleimig", sagt er locker, als er sie kurz darauf mit versteinerter Miene zurückgibt. Tonfeld erklärt noch, dass Wa Bibio "kleine Schnecke" heißt. "Denn ausgewachsen sind sie vier Mal so groß." Dann trennen sich ihre Wege.


Ein paar Schritte weiter ist der Stand von amnesty international. Henry Okorafor hat ein Plakat seines Bruders Patrick hinter Gitter gehängt und bittet Passanten, symbolisch die Stäbe zu zersägen. So bekommt er Aufmerksamkeit für seinen langen Kampf: "29 Jahre ist mein Bruder jetzt alt", erklärt er den Passanten. "Und seit 15 Jahren sitzt er jetzt im Gefängnis. Dabei hat er nichts verbrochen." Henry Okorafor hat in Eichstätt studiert, seit sieben Jahren lebt er in Ingolstadt, für die SPD hat er sich um einen Sitz im Stadtrat bemüht. Aus der Ferne versucht er, seinem Bruder im Imo-State in Kenia zu helfen. Viele Zuhörer lassen sich nicht lange bitten, tragen sich in die Unterschriftenliste ein – und setzen symbolisch die Säge an die Gitterstäbe.

18 Gruppen präsentieren sich in der Theresienstraße, sie alle unterstützen Hilfsprojekte in und für Afrika. Lilian Freund lebt seit acht Jahren in Augsburg, geboren wurde sie am Fuß des Mount Kenia. Sie trägt ein farbenprächtiges, langes Kleid im Stil ihres Stammes, der Kamba, und dazu ein Kopftuch aus dem gleichen Stoff, ein Ijapu. Sie sammelt heute Geld für das Projekt Schwarz-Weiß, das in Msambweni an der Südküste Kenias zwei Kinderdörfer für Waisen betreibt.

Die Ingolstädterin Gerda Büttner, die das Afrikafest ins Leben gerufen hat, kümmert sich um Aidswaisen in Sambia. Ihr Verein Wisekids geht zurück auf eine Initiative ihres Mannes, des verstorbenen Bundestagsabgeordneten. Daher auch der ursprüngliche Name Hans Büttner Chaabwe Förderverein. Schülerinnen der Berufsfachschule haben eine Schautafel zusammengestellt, auf der die wichtigsten Zahlen stehen: Von den zwölf Millionen Menschen in Sambia sterben jedes Jahr 100 000 an Aids. Die Kinder bleiben zurück – derzeit sind es etwa 700 000. Ihnen wollen Gerda Büttner und ihr Verein helfen.

Das Fest hat offiziell um 10 Uhr begonnen, um 22 Uhr müssen die Organisatoren langsam Schluss machen – schon allein aus Rücksicht auf die Nachbarn. Gerda Büttner ist glücklich: "Alle waren begeistert, die Standbetreiber wie die Besucher", sagt sie lachend. "Am Mittwoch wollen wir uns zusammensetzen, dann schauen wir, ob die Kosten gedeckt sind." Und wenn nicht? "Dann werden wir noch einmal betteln gehen", sagt sie zuversichtlich. Nur eines sei jetzt noch kein Thema: ein Afrikafest 2011. "Jetzt machen wir erst mal eine Nachbesprechung mit allen Beteiligten. Und dann sehen wir weiter."