Ingolstadt
Prinzip "Geben und Nehmen"

Braucht die Stadt trotz gut vernetzter Nachbarschaftshilfe zusätzlich Seniorengenossenschaften?

29.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:21 Uhr

Aktiv: Regelmäßig treffen sich die „Singioren“ im Bürgerhaus Neuburger Kasten (hier ein Archivbild von Oktober 2013). Neben Freizeitangeboten gibt es Organisationen wie die Nachbarschaftshilfe, bei der sich Senioren gegenseitig im Alltag unterstützen. Arch - foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Wie lebt es sich als älterer Mensch in Ingolstadt? Wünschen sich Senioren gegenseitige Unterstüzung? Eine Befragung von Ingolstädtern über 60 Jahre, die die Technische Hochschule Nürnberg im Herbst durchgeführt hat, liefert Antworten. Die Studie war am Dienstag Thema im Sozialausschuss.

An mehr als 4300 Bürger wurden die Fragebögen versandt, geantwortet haben knapp 700. Das Ergebnis der Befragung haben Doris Rosenkranz von der Hochschule Nürnberg und Edmund Görtler, Leiter des Instituts „Modus“ in Bamberg, das Wirtschafts- und Sozialforschung betreibt, präsentiert. Mithilfe der Antworten der älteren Menschen in Ingolstadt wollen die Initiatoren der Studie herausfinden, ob eine Seniorengenossenschaft als Versorgungsmodell der Zukunft auch in der Donaustadt eine Option wäre.

Bürger über 60 Jahre sollten zum Beispiel Auskunft darüber geben, wie lange sie schon hier leben, ob ihre Wohnung seniorengerecht gestaltet ist und mit wem sie zusammen wohnen. Mehr als die Hälfte gab an, dass ihre Wohnung barrierefrei ist oder über Haltegriffe im Bad verfügt. Eine Besonderheit in Ingolstadt ist laut Rosenkranz das hohe Wohneigentum. Deshalb sei hier gerade die Barrierefreiheit oder eine Hilfe für den Haushalt und Gartenarbeiten Thema. Sozialreferent Wolfgang Scheuer merkte an, dass es in solchen Fällen außerdem wichtig sei, den älteren Mitbürgern genügend Beratung zu bieten, damit sie im eigenen Haus weiterhin wohnen bleiben können. Eine „Win-Win-Situation“ würde man erreichen, wenn ältere Menschen ungenutzte Zimmer ihres Eigenheims an junge Menschen vermieten, die eine Wohnung suchen. Die wiederum könnten die Senioren im Alltag unterstützen. Dieser Idee stimmte auch Simone Vosswinkel zu. Jung und Alt zu vernetzen „fänd ich super“, sagte die ÖDP-Stadträtin.

Im Fokus der Studie der TH Nürnberg stand zudem, ob die hier lebenden Senioren überhaupt ein Bedürfnis nach Unterstützung im Alltag haben. Diese Frage bejahten nur knapp 15 Prozent der Teilnehmer. Ebenso durften sie angeben, ob sie bereit wären, anderen Mitbürgern Hilfe anzubieten. Im Durchschnitt würde sich jeder Befragte, der die Frage mit „Ja“ beantwortete (17 Prozent) rund sechs Stunden in der Woche Zeit nehmen, um anderen Mitbürgern zu helfen. CSU-Stadträtin Dorothea Deneke-Stoll fand den Gedanken der Genossenschaften – also gegenseitige, gut vernetzte Hilfsangebote – „auf den ersten Blick bestechend“. Sie gab aber zu bedenken, dass das Prinzip, in Vorleistung zu gehen, also anderen Mitbürgern Hilfe zu leisten, und dann bei Bedarf auch selbst Unterstützung zu erhalten, juristisch durchdacht werden müsse. Doris Rosenkranz von der TH Nürnberg verwies auf andere Kommunen – zum Beispiel Kronach –, in denen Seniorengenossenschaften seit vielen Jahren erfolgreich funktionieren und sich finanziell selbst tragen.

Dass nur rund 16 Prozent der Menschen, an die die Hochschule die Fragebögen geschickt hatte, geantwortet hat, verwunderte einige Mitglieder des Sozialausschusses. Thomas Thöne von der SPD war über die niedrige Beteiligung „erschrocken“. Rosenkranz nannte als möglichen Grund, dass viele Menschen darauf vertrauen, dass im Falle „schon genügend Hilfe da sein wird“. 87 Prozent der Befragten glauben, dass sie sich an die Familie wenden könnten. Außerdem beschäftigen sich viele Menschen nicht gerne mit dem eigenen Altern. Wenn das familiäre Netz aber nicht mehr greift, kämen die Genossenschaften ins Spiel. Brigitte Mader (CSU), die als Ansprechpartnerin für die Nachbarschaftshilfe in Mailing-Feldkirchen fungiert, sieht in diesen allerdings eine Konkurrenz zu bereits bestehenden Strukturen. „Viele fühlen sich sehr gut aufgehoben bei der Nachbarschaftshilfe.“ Rosenkranz erklärte, dass Genossenschaften vielmehr vorhandene Angebote vernetzen sollen, um diese in einem größeren Rahmen anzubieten.