Ingolstadt
Plötzlich war nur noch der Stumpf da

Anwohner und Bauträger streiten um ein geplantes Mehrfamilienhaus in der Streiterstraße

23.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:23 Uhr

Streit in der Streiterstraße: Dieser Stumpf ist alles, was von einem etwa fünfzig Jahre alten Baum an der Streiterstraße übrig ist - Foto: Schneider

Ingolstadt (DK) Zwei Fichten direkt neben einem Baugrund im Ingolstädter Westviertel sorgen für Konflikte. Seit Wochen machten sich Anwohner Sorgen um die Zukunft der Bäume, am Mittwoch war einer der beiden quasi über Nacht verschwunden. Die Nachbarn beschuldigen den Bauträger und haben Anzeige erstattet.

Morgens um Viertel vor sieben, als die Bewohner der Streiterstraße 22 ihre Rollladen hochzogen, war schon alles zu spät: Von einer der zwei Fichten in ihrem Garten war nur noch ein Stumpf übrig, in aller Frühe hatte jemand den Baum gefällt. Es war die Eskalation eines Streites, der die Gemüter der Nachbarn seit Längerem erhitzt.

Am 11. März hatte die Stadt in den amtlichen Mitteilungen die Erteilung einer Baugenehmigung für das Grundstück in der Streiterstraße 24 veröffentlicht. Ein Haus für acht Parteien mit Tiefgarage soll dort entstehen, gebaut von der Plan Concept GmbH aus Hepberg. An den Verwalter des angrenzenden Hauses, in dem zehn Parteien leben, schickte der Bauträger einen Brief. Den Bewohnern zufolge empfahl er darin die Fällung der beiden Fichten, die direkt an den Baugrund angrenzen, aber dennoch auf dem Nachbargrundstück stehen. Überhängende Äste würden gekappt, sodass der Baum instabil würde und auf das Haus kippen könnte – das drohte der Bauträger den Nachbarn zufolge in dem Brief. Außerdem würden bei weiteren Arbeiten höchstwahrscheinlich die Wurzeln verletzt, da sei es besser, die Fichten schon vorher zu entfernen. Anwalt Fritz Kroll, der den Anwohner Ernst Groß vertritt, bestätigt diese Darstellung. Der Bauträger hingegen weigert sich, sich zu dem Sachverhalt zu äußern.

Anwalt Kroll antwortete ablehnend auf den Brief und erhielt daraufhin die Zusage, bis Ende der Woche werde auf keinen Fall etwas passieren. Dementsprechend entsetzt waren die Anwohner, als der Baum am Mittwochmorgen weg war. Die Eigentümer unter ihnen haben Anzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch erstattet, aber auch wegen Diebstahls: Die Fichte ist spurlos verschwunden, nur der Stumpf steht noch dort.

„Das ist entsetzlich“, sagt Helga Weckner, Mieterin in dem Haus, in dessen Garten der Baum stand. Es handele sich um eine in vielen Jahren gewachsene Parkanlage, die auf dem Spiel stehe. „Naturschöne Gärten fallen dem Bauboom zum Opfer“, beklagt auch Christine Hoffmann, ebenfalls Anwohnerin. Die Nachbarn sehen das Flair ihres Viertels in Gefahr, das durch immer mehr Verdichtung zunehmend weniger Grün aufweise.

„Die Stadt schreibt immer stolz vom Westviertel, weiß aber gar nicht, was hier passiert“, sagt Karl Peer, ebenfalls Anwohner. Akzeptabel seien nur die Projekte, bei denen die Planer Rücksicht auf die Umgebung nähmen. „Wenn jemand nur auf Kommerz aus ist, dann funktioniert das nicht“, sagt Peer. Die Kontrolle der Stadt reiche nicht aus. Er fordert einen Bebauungsplan für das Viertel, in dem dann beispielsweise stehen könnte, dass bei Neubauten nur noch ein Vollgeschoss erlaubt ist.

Tatsächlich gibt es bislang keinen Bebauungsplan für die Streiterstraße. Das sei aber auch nicht nötig, sagt die Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle. In der Streiterstraße gebe es nur noch vereinzelte Baugrundstücke, für die sich die Erstellung eines Bebauungsplans nicht lohne. Das genehmigte Bauprojekt findet die Stadtbaurätin vertretbar, schließlich entspreche es von der Größe her der Bebauung in der Umgebung. Allein vom Grundsatz der Gleichbehandlung her hätte die Stadt die Genehmigung deswegen nicht verweigern können, sagt Preßlein-Lehle. Die geplante Bebauung mit acht Wohneinheiten wird also aller Voraussicht nach kommen – für die Fichte ist jede Rettung zu spät.