Ingolstadt
Der Angeklagte schweigt und sagt doch viel

Prozess um mutmaßlichen Mordversuch mit Beil beleuchtet Hintergründe des Familiendramas

12.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Gut vorbereitet mit Aktenordner machte sich der 64-Jährige Angeklagte im Landgericht an der Seite seines Verteidigers Shervin Ameri auf den Weg zum Sitzungssaal. - Foto: Rehberger

Ingolstadt (DK) Tagesfüllend war das Programm der Schwurkammer am Landgericht zum Auftakt des mit Spannung erwarteten Prozesses zur Gerolfinger Beilattacke, dabei reichten gestern aus journalistischer Sicht schon wenige Minuten, damit genügend Stoff für einen erschöpfenden Artikel zusammenkommt. Die wichtigste Nachricht nahm zwar nur wenig Zeit in Anspruch, spricht aber Bände: Wie sein Verteidiger Shervin Ameri dem Schwurgericht mit dem Vorsitzenden Jochen Bösl erklärte, wird sich der Angeklagte nicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Ingolstadt äußern.

Und die macht den 64-Jährigen aus Gerolfing für nichts weniger als für einen Mordversuch verantwortlich.

Recht viel zu leugnen gibt es mit Blick auf die reine Täterschaft aber nicht: Denn dass der 64-Jährige auf seinen Schwager im Treppenhaus des gemeinsam bewohnten Zweifamilienhauses in dem Ingolstädter Ortsteil losgegangen ist, haben gleich mehrere Angehörige des schwer verletzten Opfers - das den Angriff aber überlebte - mitbekommen. Sie saßen damals am frühen Abend des 30. März arglos im Obergeschoss bei der Geburtstagsfeier der Ehefrau des Angegriffenen (und gleichzeitig Schwester des Angreifers) zusammen. Als sie Hilfeschreie aus dem Treppenhaus hörten, stürzte als Erste eine der Töchter dicht gefolgt von ihrem Ehemann hinaus. Beide sahen den blutüberströmten und schon bewusstlosen Vater beziehungsweise Schwiegervater auf der Treppe liegen, während hinter ihm noch der laut den Zeugen mit einem Beil herumfuchtelnde und Beleidigungen sowie wirre Sätze ausstoßende Onkel stand. Der 36-jährige Schweigersohn drängte den Angreifer von dem Schwerverletzten ab, indem er ihn mit einem Kleiderständer und vollem Krafteinsatz die Treppe nach unten und aus dem Haus schob. Danach sperrte er die Haustür ab.

Draußen rief der Beilangreifer über das Mobilteil des Haustelefons selbst die Polizei und ließ sich dann auf der Straße widerstandslos festnehmen. Längst hatten aber auch die Familie oben und informierte Nachbarn einen Notruf abgesetzt.

Zwei große Knackpunkte begleiten den Fall: Einmal das Mordmotiv der Heimtücke, das die Staatsanwaltschaft in der Beilattacke als verwirklicht sieht - das die Verteidigung aber natürlich abschwächen möchte. Der Angriff auf den Schwager erfolgte aber laut Ankläger Niki Hölzel "unter bewusster Ausnutzung dessen infolge Arglosigkeit bestehender Wehrlosigkeit unbemerkt von hinten". Der inzwischen genesene Angegriffene berichtete dem Gericht, dass er nur "ein Huschen, schnelle Schritte" bemerkt und dann schon den ersten massiven Schlag auf den Hinterkopf bekommen habe, als er die ersten Treppenstufen nahm. Hätte er irgendwie reagieren können? "Keine Chance", sagte der 65-jährige Pensionär, der seine schweren Verletzungen durch insgesamt zwei bis drei Schläge mit der stumpfen Seite des Beils aufzählte: Schädelbruch mit bleibendem Loch, Elle und Speiche der rechten Hand glatt gebrochen ("eine Parierverletzung"), ebenso wie ein Zeigefinger. Dazu viele Platzwunden. Er ist "froh, dass ich noch am Leben bin. Wenn ich keine Gäste gehabt hätte, hätte ich wohl keine Chance gehabt". Eine Notoperation im Klinikum rettete dem Hausbesitzer das Leben.

Ein Motiv für das Familiendrama war "ziemlich schnell klar", berichtete ein Kriminalbeamter gestern: Der Angeklagte hätte am 31. März, also am nächsten Tag, aus der Wohnung im Erdgeschoss ausziehen müssen. Dieser Termin war das Ergebnis eines Vergleichs in einem Zivilprozess vor dem Landgericht. Schwager und Schwester als Vermieter hatten den 64-Jährigen, den sie vor rund vier Jahren in einer Notlage aufgenommen hatten und mietfrei wohnen ließen, loswerden wollen. Das Zusammenleben sei unerträglich gewesen, berichtete der Hauseigentümer. Der Bruder seiner Schwester habe ihn mehrfach angezeigt und des Diebstahls und Mobbings bezichtigt. Er soll ihm Autoreifen zerstochen, Zahnpastatuben ausgedrückt, Dinge gestohlen haben, eine Mikrowelle bis zur Explosion manipuliert und noch viel mehr angetan haben. Darüber kann der Mann, der nach wie vor von den Beilhieben gezeichnet ist, nur mit dem Kopf schütteln. "Ich habe ihm nie etwas getan. Es gab nie Streit oder etwas Handgreifliches." Seine Töchter und die beiden Schwiegersöhne bestätigen das. Sie haben sich auch einen Reim auf den Mann gemacht, der wie ein Fremdkörper im eigenen Elternhaus und ohne Kontakt zu jemandem lebte und seine "Geschichten, die einfach nicht stattgefunden haben", gemacht: Er müsse psychisch krank sein - schizophren oder Verfolgungswahn haben.

Das wird das Landgericht als zweiten Knackpunkt des Falls bis Mitte Januar genauer beleuchten. Richter Bösl verkündete gestern, dass für das Schwurgericht eine dauerhafte Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus im Raum steht. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.