Ingolstadt
Unzureichende Belehrung vor dem ersten Verhör?

Im Mordfall Anastasia ist womöglich nach der Festnahme des Verdächtigen von der Polizei nicht sauber gearbeitet worden

28.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:07 Uhr

Ingolstadt (DK) Der Tag, der Abend vor Anastasias Tod: Was wussten ihre unmittelbaren Nachbarn - überwiegend Frauen - im Wohnheim an der Feldkirchener Straße, was haben sie gesehen oder gehört? Die Befragung jener Leute, die die 22-jährige Russlanddeutsche zuletzt lebend gesehen haben, zieht sich im Mordprozess vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts hin, ohne dass bislang in einer Aussage eine wegweisende neue Erkenntnis zu erlangen gewesen wäre.

Dabei haben die Prozessbeteiligten auch mit einigen Unwägbarkeiten zu kämpfen: Manche Zeugen sind Ausländer, die kaum oder gar keine Deutschkenntnisse haben und auf Dolmetscher angewiesen sind. Hinzu kommen fast ein Jahr nach der Bluttat angebliche oder tatsächliche Erinnerungslücken. Und da und dort müssen vom Gericht auch Missverständnisse ausgeräumt werden, die sich durch mitunter vielleicht etwas oberflächlich erstellte Polizeiprotokolle eingeschlichen haben. So muss beispielsweise schon mal geklärt werden, ob eine Zeugenbeobachtung um 10 Uhr morgens oder abends gemacht wurde - als ob nicht auch eindeutige Uhrzeitangaben zwischen 0 und 24 Uhr möglich wären.

Die Polizei, namentlich ihr Hauptsachbearbeiter im Fall Anastasia, musste sich bereits am Donnerstag Fragen der Verteidigung stellen, die im zuständigen Kommissariat womöglich keine Begeisterung ausgelöst haben. So erfuhr Verteidiger Franz Wittl (München) durch hartnäckiges Nachbohren, dass seinem Mandanten, dem des Mordes beschuldigten 25-jährigen Soldaten, beim ersten Verhör direkt nach seiner Festnahme nicht mitgeteilt worden sein soll, dass seine ersten Äußerungen auch ohne formelles Protokoll sehr wohl in spätere Aktennotizen einfließen und nun vor Gericht verwertet werden können.

Der junge Mann soll demnach seinerzeit betont haben, dass er ohne Anwalt "nichts unterschreiben" werde, soll sich dann aber - immer noch ohne Rechtsbeistand - auf erste Fragen der Kripobeamten und des Staatsanwalts eingelassen haben. Er war offenbar in dem Glauben gewesen, dass aus diesem Gespräch nichts festgehalten werde. Die Verteidigung denkt darüber nach, ob sie der Verwertung der damaligen Aussagen widersprechen soll.

In dem Verhör hatte der Tatverdächtige laut Sachbearbeiter ohne polizeiliche Hinweise auf den Fundort der Leiche erwähnt, dass seine Bekannte als Nichtschwimmerin kaum auf die Idee gekommen sein könne, freiwillig in die Donau zu gehen. Auf den Vorhalt, dass hier wohl Täterwissen im Spiel sei, hatte der junge Mann erklärt, er habe just am selben Tag über ein soziales Netzwerk von dem Leichenfund im Fluss erfahren.

Tatsächlich fand sich später auf seinem Handy eine nur rund eine halbe Stunde vor seiner Festnahme aufgerufene Internetseite, auf der auf damalige Erstmeldungen der Online-Redaktion des DONAUKURIER zu dem Tötungsdelikt verwiesen wurde. Das Mobiltelefon des Soldaten war seinerzeit - ebenso wie das der getöteten jungen Frau - ausgiebig untersucht worden. Laut Polizei fanden sich dabei auch makabere Fotos von verstümmelten Menschen - Bilder, wie sie auf obskuren Internetportalen präsentiert und mitunter unter Nutzern solcher Adressen gepostet werden. Einen Zusammenhang mit dem Fall Anastasia sehen die Ermittler aber allem Anschein nach nicht.

Vergeblich warteten Gericht und Prozessbeobachter am Freitag auf die angekündigte Zeugenaussage jenes Mannes, der noch am Tatabend mit Anastasia und einer ihrer Nachbarinnen in dem Wohnheim zusammen gewesen sein soll (DK berichtete am Freitag). Er hatte sich am frühen Morgen per E-Mail krankgemeldet. Nun soll der Zeuge zu einem späteren Zeitpunkt gehört werden. Der Prozess wird nächsten Donnerstag fortgesetzt.