Ingolstadt
Mobilitätshelfer an der Endstation

Das Modellprojekt Bürgerarbeit soll nicht fortgesetzt werden – Großer Verdruss

25.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Gemeinsam über die Hürden des Alltags: Drei Jahre lang begleiteten Mobilitätshelfer der städtischen Firma IN-arbeit Bürger, die auf Gehhilfen oder Rollstühle angewiesen sind. Vor allem beim Busfahren und beim Einkaufen war die Unterstützung sehr beliebt. Jetzt soll das Modellprojekt enden. Arch - foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Morgen berät der Sozialausschuss über die Zukunft des Modellprojekts Bürgerarbeit, dessen Finanzierung jetzt nach drei Jahren ausläuft. Betroffen sind 120 Langzeitarbeitslose, die unter anderem als Mobilitätshelfer tätig waren. Die Stadt will das Angebot auf keinen Fall allein weiterfinanzieren.

Sie sind, oder besser waren Wegbereiter im doppelten Sinne. Zehn Arbeitslose halfen seit dem Jahr 2012 Bürgern, die auf Gehhilfen oder einen Rollstuhl angewiesen sind, über die Barrieren des Alltags, begleiteten sie beim Einkaufen, im Bus oder zum Friseur. Dabei erprobten die Beschäftigten der städtischen Tochterfirma IN-arbeit zugleich ein Modell, um Langzeitarbeitslose über eine sinnvolle Tätigkeit wieder an das Berufsleben heranzuführen und ihre Chancen bei Bewerbungen zu steigern. Doch zum 31. Dezember ist Schluss. Die Finanzierung läuft aus. Dann enden auch alle anderen Angebote des Projekts Bürgerarbeit.

Das bedeutet für die meisten der 120 Kollegen, dass sie zurück zum Jobcenter müssen, um Arbeitslosengeld II (Alg II, besser bekannt als Hartz IV) zu beantragen. Neben den zehn Mobilitätshelfern sind auch sechs Energiesparhelfer für IN-arbeit im Einsatz. Sie beraten die Bezieher von Alg II oder Grundsicherung, um die Energiekosten im Haushalt zu senken. Die anderen Bürgerarbeiter sind in Altenheimen oder für das Gartenamt tätig. „Sie wirken vor allem im Sozialbereich“, erklärt Michaela Piesch, Prokuristin bei IN-arbeit. Finanziert wurde das auf drei Jahre befristete Projekt von der EU, dem Bundesarbeitsministerium und der Stadt.

Michaela Piesch würde das Ende sehr bedauern. „Warum sollte es nicht möglich sein, dass Bürger, die sonst wieder Hartz IV beantragen müssen, diese sinnvolle Arbeit fortsetzen können? Die Senioren sind so dankbar für die Mobilitätshelfer! Mit ihnen können sie auch mal zu einem Friseur ihrer Wahl oder zum Kaufhof, was zum Beispiel vom Heilig-Geist-Spital aus eine halbe Stunde dauert.“

Die Energieberater würden etwas zur Entlastung der Steuerzahler beitragen, „weil dank ihrer Arbeit Sozialleistungsempfänger weniger Strom und Gas verbrauchen“. Von Januar bis November dieses Jahres wurden 100 Ingolstädter Haushalte besucht, berichtet die Prokuristin von IN-arbeit. Von Januar bis Oktober haben Bürger mit Gehbehinderung 419-mal die Begleitung der Mobilitätshelfer erbeten. 952-mal nahmen sie die Hilfe beim Busfahren in Anspruch. Piesch wiederholt: „Es wäre sicher möglich, diese Angebote mit kommunalen Mitteln fortzusetzen!“

Aber das sieht Sozialreferent Wolfgang Scheuer anders. „Es war allen von Anfang an klar, dass die Bürgerarbeit eine auf drei Jahre befristete, zusätzliche gemeinnützige Tätigkeit ist, die wir aus rechtlichen Gründen gar nicht in feste Stellen der Stadt umwandeln dürfen, das haben wir haarklein geprüft!“ Und selbst wenn man es theoretisch dürfte, „wäre das anderen gegenüber ungerecht“, argumentiert Scheuer. Er rechnet vor: Das Jobcenter verfüge im Jahr über 1,1 Millionen Euro, die es für „Eingliederungstitel“ ausgeben könne, also Maßnahmen, die langzeitarbeitslose Alg-II-Empfänger ans Berufsleben heranführen – bei insgesamt gut 4000 Klienten. Aber die Fortsetzung der Arbeit der Mobilitätshelfer und Energieberater würde bei je 30 Wochenstunden im Jahr 200 000 Euro kosten. Und das stehe in keinem Verhältnis.

Scheuer erinnert daran, „dass die Busse heute so modern sind, dass man auch mit dem Rollator gut reinkommt“. Außerdem gebe es ja noch das Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe, Engagement für Senioren in den Pfarreien – „da rührt sich viel“, sagt Scheuer. Und nicht zuletzt: „Es muss für jeden von uns selbstverständlich sein, älteren Mitbürgern und Gehbehinderten im Alltag zu helfen!“

Es bleibt dennoch eine spannende Frage, ob es mit der Bürgerarbeit vielleicht doch weitergeht. Die CSU-Fraktion hat im Juli den Antrag gestellt, „die Fortführung der in den städtischen Modellprojekten Energiesparhelfer und Mobilitätshelfer gemeinnützig beschäftigten Bürgerarbeiter zu prüfen und gegebenenfalls bis zum 1. Januar umzusetzen“. Die SPD kündigte an, das geplante Aus für die Mobilitätshelfer „nicht widerstandslos hinzunehmen“, wie Fraktionschef Achim Werner betont. Der Sozialexperte der SPD, Thomas Thöne, spricht von einer „wundervollen Perspektive für Langzeitarbeitslose, der nicht sang- und klanglos der Garaus gemacht werden darf!“

Am morgigen Donnerstag berät darüber der Sozialausschuss. Die Sitzung beginnt um 14 Uhr im Neuen Rathaus.