Ingolstadt
Mit Schlüsseln zum Erfolg

16.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:06 Uhr

Die Drei vom Schuh- und Schlüsseldienst: Manfred Maier (l.) und Wolfgang Müller (r.) halfen dem schwerbehinderten Eugen Holzwart beim Aufbau eines eigenen Unternehmens. Seine große Hoffnung nach 15 Jahren Arbeitslosigkeit. - Foto: Schattenhofer

Ingolstadt (DK) Nach 15 Jahren Arbeitslosigkeit will Eugen Holzwart sein Schicksal in die Hand nehmen und hat sich mit einem Schuh- und Schlüsselexpress selbstständig gemacht. Doch der Weg aus der Hartz-IV-Misere ist steiniger, als er dachte. Nur mit vereinten Kräften gelang das Unternehmen.

Eugen Holzwart stammt aus Usbekistan, ist 33 Jahre alt und infolge einer Kinderlähmung zu 100 Prozent schwerbehindert. Vor 15 Jahren kam er nach Deutschland – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Aber es gelang ihm nicht, eine feste Arbeit zu finden. So lebte der junge Mann von staatlicher Unterstützung. Kurzzeitig arbeitete er bei Audi am Fließband, in der Auspuffmontage, doch das lange Stehen bereitete ihm Schmerzen. Auch ein Job bei der Caritas war nicht das Richtige. Eine Ausbildung zum Zahntechniker musste er wegen einer Nierentransplantation abbrechen. Eugen Holzwart kam einfach nicht auf die Beine.

Wie so oft half der Zufall: Die Lebensgefährtin des jungen Mannes ließ eines Tages im ehemaligen Ingo-Center ihre Schuhe richten. Schuster Wolfgang Müller erzählte ihr, er suche einen neuen Laden und einen Nachfolger. So kam es, dass Eugen Holzwart dort eine Art Schnupperlehre absolvierte.

Der Umgang mit Sohlen und Schlüsseln gefiel ihm, die Männer verstanden sich gut. So reifte der Plan, sich aus Hartz IV in die Selbstständigkeit zu verabschieden.

Ein gewagtes Unternehmen für einen jungen, unbedarften Migranten – der deutschen Sprache nur bedingt mächtig und mit der deutschen Bürokratie kaum vertraut. Begriffe wie Bedarfsgemeinschaft oder Grundsicherung mochten dem Langzeitarbeitslosen noch gängig sein, doch mit einer Existenzgründung samt Businessplan und sonstigen Formalitäten war er einfach überfordert.

Immerhin schaffte es Eugen Holzwart, über einen Privatkredit die 30 000 Euro Startkapital aufzubringen, mit denen er Müllers Maschinen und Material ablösten wollte – darunter eine Schlüsselsammlung, die ihresgleichen sucht.

Doch schon drohte Ungemach: Das Jobcenter wertete Kapital als Vermögen und wollte die Leistungen einstellen. "Ich bin ja auch nur Handwerker und konnte ihm nicht helfen", erzählt Wolfgang Müller. Und wieder half das Glück, denn Manfred Maier kam ins Spiel, von Beruf Unternehmensberater. Normalerweise ist er zwar eher auf dem chinesischen Markt tätig, doch das Schicksal des Schwerbehinderten ging dem Geschäftsmann nahe. Und so half er Eugen Holzwart auf dem Weg durch die Instanzen. "Ohne Herrn Maier wären wir untergegangen", räumt Müller unumwunden ein.

Nicht zuletzt half auch dessen Ehefrau Gisela mit bei der Existenzgründung: "Ich bin überall rumgewandert und hab einen neuen Laden gesucht." Fündig wurde sie im Piusviertel, an der Hindenburgstraße 103. Dort, nahe der ehemaligen Post, hat sich Eugen Holzwart mit seinem HoMa Schuh- und Schlüsseldienst angesiedelt, die Eröffnung war am 1. März.

Stammkunden erkennen sofort, dass hier die Tradition des Müllerschen Betriebes weiterlebt, der nach fast 30 Jahren im Ingo-Center endete. Der alte Schuster hat dem jungen Nachfolger nicht nur beim Umzug geholfen, sondern wird ihm auch die nächsten Monate treu zur Seite stehen.

Denn der Neustart im Piusviertel ist nicht leicht. "Es läuft schleppend", meint Eugen Holzwart, der die ersten Monate noch Geld vom Jobcenter erhält. Doch Manfred Maier ist zuversichtlich: "In diesem bevölkerungsreichsten Stadtteil steckt Potenzial. Bereits im ersten Monat hat Eugen 70 Prozent des notwendigen Umsatzes erzielt – das ist ein guter Wert, der sonst nicht üblich ist. Ich hab’ schon einigen Langzeitarbeitslosen geholfen, aber dass jemand sein Ziel so strikt verfolgt, hab’ ich noch nie erlebt. Die Leute im Jobcenter waren auch sehr angetan."

Dabei habe die Behörde, diesen Eindruck gewann Maier mitunter, den Schwerbehinderten zunächst in eine Schublade gesteckt. "Eugen wurde geradezu schulmeisterlich und bevormundend behandelt, und es wurden ihm manchmal auch Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich finde das befremdlich, wo doch hier die Chance besteht, einen Fall loszuwerden. Ich habe aber die Energie vermisst und die Unterstützung, die ihm zusteht." Inzwischen jedoch dürften etwaige behördliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Existenzgründung zerstreut sein.

Nach so viel Mithilfe freundlicher Menschen braucht Eugen Holzwart jetzt Kundschaft. Drei Jahre ungefähr dauert es, bis sich ein kleines Unternehmen wie seines etabliert hat.