Ingolstadt
Mit Kant durch den Etat

02.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Ingolstadt (rh) Da behaupte noch einer, die Debatten im Ingolstädter Stadtrat hätten kein Niveau. Wer am Donnerstag den Beratungen angemessen folgen wollte, tat sich entschieden leichter, wenn er über ausreichende Kenntnisse in Literatur, Philosophie und Theologie verfügte.

Schon der Kämmerer bewies, dass er nicht nur von Zahlen etwas versteht.

"Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr", zitierte Albert Wittmann aus Goethes Faust II, um seine Stadtratskollegen sanft zu finanzpolitischer Vernunft zu bewegen. "Wir müssen das Geld vor uns selbst schützen." Dieser Appell stamme jedoch "ausnahmsweise nicht von Goethe", fuhr der Kämmerer fort, sondern von einem "hohen kirchlichen Würdenträger".

In echt sozialdemokratischer Hybris führte Achim Werner sogar den lieben Gott gegen Wittmann ins Feld. "Herr Bürgermeister, da hab' ich auch ein Goethe-Zitat für Sie." Aus dem Faust-Prolog kam der Herrgott zu Wort, um Wittmanns wacklige Steuerprognosen zu kommentieren: "Es irrt der Mensch, solang er strebt."

Ökodemokrat und Baumfreund Franz Hofmaier hatte passend zum Luther-Jahr dessen berühmten Satz parat: "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."

Doch was war das alles gegen Patricia Klein (CSU), die in ihrer ersten Haushaltsrede rhetorisch nach den Sternen griff und empfahl, bei der Stadtratsarbeit den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant zu beherzigen: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." Klarer Fall, die Politik der CSU als allgemein gültiges Gesetz im Stadtrat.

Alterspräsident Gerd Werding (FW) zeigte sich verblüfft vom hohen Bildungsniveau, das er offensichtlich diesem Gremium gar nicht zugetraut hatte, beschränkte sich aber weise darauf, die ihm zugedachte Rolle als Zeitnehmer der Reden gewissenhaft zu erfüllen. Das Resultat: Christian Lösel 33 Minuten, Albert Wittmann 19, Achim Werner 24, Peter Springl 24, Petra Kleine 22, Christian Lange 18, Franz Hofmaier 17, Karl Ettinger 14 und Patricia Klein 15 Minuten. Die einzige "Punktlandung" sei der CSU-Fraktionschefin gelungen, lobte Werding deren Disziplin.

Im Übrigen hat sich die vom OB geforderte Askese nicht mehr ganz durchhalten lassen. Ab sofort nur noch Brezn zur Politik - diese Devise Christian Lösels nach den ersten Meldungen über eine Finanzkrise ist inzwischen einer bescheidenen Grundversorgung gewichen. Sechs Stunden Beratung über einen Haushalt, der mehr als eine halbe Milliarde Euro umfasst, da müssen für jeden Teilnehmer eine Tasse Kaffee und ein Teller Suppe drin sein, ohne dass der Bund der Steuerzahler einen Grund zu meckern hat.