Ingolstadt
Meister der Betonmauern

Hohe Kunst aus der Spraydose: Am Wochenende fand in Ingolstadt Deutschlands größtes Graffiti-Treffen statt

28.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:08 Uhr

Beastiestylez bei der Arbeit: Die Münchner Künstlerin war die einzige weibliche Teilnehmerin bei der „Grande Schmierage“ - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Ein leuchtender rot-oranger Haarschopf und große Kulleraugen prangen auf grauem Beton. Umrahmt von einem drolligen türkisfarbenen Mondgesicht. Ob es ein Selbstporträt ist? Street Art-Künstlerin Beastiestylez, die mit ihren fuchsroten Locken und der Maggy-Mae-Brille auf der Nase dem Werk, das gerade auf einer der Wände in der Bahnunterführung in Unsernherrn entsteht, durchaus ebenbürtig wirkt, verneint konsequent.

Die Figur habe doch gar keine Arme und Beine, sagt sie. Und räumt dann doch ein: „Ein Stück des Künstlers ist immer vorhanden.“

Beastiestylez ist eine von zahlreichen renommierten Sprayern aus dem In- und Ausland, die am Wochenende zu Deutschlands größtem Graffiti-Treffen, der „Grande Schmierage“, in Ingolstadt zusammenkamen. Im Hauptjob ist die junge Frau – diesmal die einzige weibliche Vertreterin der Sprayergilde – Diplom-Designerin. In der Freizeit tobt sie sich an aschgrauen Mauern mit ihren Farbdosen aus und verpasst ihnen so eine zweite, bunte Haut. Das ganz legal. Denn das Treffen in der Schanz kann auf eine kleine Tradition blicken, findet bereits zum vierten Mal statt. Die Unterführung hält dafür, offiziell von der Stadt abgesegnet, als immerwährende Leinwand vor.
 


Einfach drauflos sprayen, das geht aber trotzdem nicht. „Die Farben sind praktisch vorgegeben, damit das Gesamtbild einheitlich wird“, sagt Beastiestylez. Erste Ideen zum gemeinsam auserkorenen Leitthema entstehen in einem Skizzenbuch. Diesmal soll auf den grau grundierten Mauern eine gigantische Lasershow entstehen. Von Motiv zu Motiv soll der Laserstrahl sich fortsetzen. Das erfordert eine gewisse Abstimmung. Die trifft die junge Münchnerin mit ihrem Nachbarn zur Linken, der gerade einen bärtigen Wicht mit Kippe im Mundwinkel und einer Laserpistole in der linken Faust kreiert. Immer wieder bleiben Fußgänger an der Absperrung stehen, die den Schauplatz des Geschehens von der Straße trennt. Vorbeifahrende Autos hupen manchmal. Das Wetter am Samstagnachmittag hält die großen Zuschauerströme aber ab. „Normalerweise kommen um die 1000 Leute auf beide Tage verteilt“, weiß Mitorganisator Boris Schmelter alias Dyset, der selbst mitsprayt. Für die Künstler sei die kühlere Witterung jedoch angenehmer, solange kein richtiger Schauer komme. „Bei 30 Grad kippt man fast um“, sagt er. Wie schafft man es, die Elite nationaler und internationaler Sprayer hierherzuholen? Der Event komme gut an, die Szene sei gut vernetzt, antwortet Dyset. Trotzdem müsse er „Stars“ oft ein Dreivierteljahr vorher einladen, weil sie sonst ausgebucht seien.

Swet aus Kopenhagen ist einer von ihnen. „Eine schöne Location“, lobt der 43-jährige Däne, der seinen kleinen Sohn mit nach Ingolstadt gebracht hat, die Unterführung. Nur die durchfahrenden Autos findet er „nicht so cool“. Seine heutige Arbeit sei inspiriert von den super-klassischen Lifestyle-Graffiti aus den frühen 1980ern in New York, erklärt er. In Deutschland Wände verschönert habe er schon oft: am alten Flughafen München-Riem und in der Kulturfabrik. Alles hauptberuflich, wie er versichert. „Ich versuche davon zu leben, was nicht immer einfach ist“, sagt er lachend.

Angetan von der Graffiti sind auch Alex und Dorina Trifas, die mit ihrer Tochter Iris das Bild mit den „nackten“ Hühnern bewundern. Erschaffen hat es Tasso, der zu diesem Zeitpunkt schon wieder weg ist und seinen Künstlernamen in großen Lettern quasi mit den Federn der beiden Hennen auf der Mauer verewigt hat. „Ich habe ein Video gemacht, das ich Freunden in Rumänien schicke“, erzählt Alex. Dort sei es grundsätzlich verboten, Graffiti zu sprayen. Von der Aktion erhofft er sich mehr Verständnis für diese Kunst in seiner alten Heimat. Die hat Dorina längst. „Die Hühner möchte ich am liebsten im Wohnzimmer haben“, schwärmt sie.