Ingolstadt
Lehrstunde für den Kultusminister

07.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:12 Uhr

Der leicht missmutige Blick von Kultusminister Ludwig Spaenle (r.) verdankte sich auch den kritischen Kommentaren der Katherl-Schülerinnen Katja Walter (l.) und Laura Breitscheidel (2. v. l.).

Ingolstadt (DK) Rund 500 Eltern und Schüler haben am Samstag gegen zu hohen Leistungsdruck und für Reformen an den Gymnasien demonstriert. An die Adresse der Bayerischen Staatsregierung richteten sie heftige Kritik. Die Überraschung war groß, als plötzlich und unerwartet der Kultusminister auf die Bühne trat.

Das unwirtliche Wetter vermag den Widerstandsdrang der Demonstranten nicht zu bremsen. Richtig nass rein geht’s nur der CSU. Die muss viel aushalten an diesem Wintertag. "Stoiber = G8-Erzeuger = Jugendräuber" hat ein Vater auf sein Plakat gemalt. Auf einem anderen prangt "Fördern statt selektieren", ferner: "Gute Nacht G8, nur Frust hast Du gebracht". In Anspielung auf ein bekanntes Partylied schmettern die Schüler im Protestumzug: "Hey, was geht ab? Wir lernen die ganze Nacht – die ganze Nacht." So ziehen die Bildungsaktivisten durch das Schneetreiben vom Paradeplatz über die Ludwigstraße zum Rathausplatz.


Hier erwärmt der Moderator Hubert Wermuth mit jugendgerechter Rebellionsprosa vor allem die Herzen der Schüler: "Die Leute, die uns seit Jahren belügen, sitzen auf ihren Stühlen und bewegen sich keinen Millimeter!" Wermuth ist seit langem Elternbeirat am Katharinen-Gymnasium und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Elternbeiräte in der Region. Bald trifft er auch den Ton der meisten Erwachsenen, denn der Ärger über das achtstufige Gymnasium (G8), dessen Schüler immer lauter den gewaltigen Leistungsdruck samt organisatorisch-konzeptionellem Chaos beklagen, ist unübersehbar.

Barbara Kaltwasser-Jeske, die Sprecherin der G8-Elterninitiative, zählt die Forderungen auf, und zwar "unmissverständlich", wie sie betont: keine Klasse mit mehr als 25 Schülern, eine Entschlackung der Lehrpläne, eine konsequente und altersgerechte Gestaltung der Prüfungen, mehr Studienplätze für den doppelten Abiturjahrgang 2011 und nicht zuletzt mehr Zeit für die Persönlichkeitsbildung der Kinder. Die Mutter stellt klar, warum die Eltern heute auf die Straße gehen: "Wir wehren uns dagegen, von Bildungspolitikern als Störenfriede von außen bezeichnet zu werden! Wir haben schließlich eine Fürsorgepflicht für unsere Kinder. Außerdem zahlen wir für diese schlecht ausgedachte G8-Reform mit unseren Nerven und unserem Geld."

Thomas Lillig, der Vorsitzende der Landes-Eltern-Vereinigung (LEV), musste krank daheim bleiben. Dafür spricht Susanne Arndt, seine Stellvertreterin. Und sie donnert los: "Wir verlangen Bildungsgerechtigkeit an allen Schulen und in Solidarität mit allen Schularten!" Bald wird jeder zweite Satz der Rednerin mit Applaus bedacht. Sie beklagt "Unmut in den Familien", "kaputte oder fehlende Schulbücher" und mangelnde Vorbereitung an den Universitäten. "Keiner weiß, was ab 2011 passiert." Die Elternvertreterin schließt mit dem Appell: "Herr Seehofer, greifen Sie endlich ein! Helfen Sie den Kindern!"

Zwischendurch sorgt die Musikerin Barbara Clear mit ihren bewährten Protestliedern ("The Times, They Are A-Changin’") für wärmende Wallung auf dem Platz. Die Well-Kinder mussten daheim bleiben, weil eines von ihnen krank geworden ist. Dafür trägt Barbara Paulus von der G8-Elterninitiative den Text des Liedes vor, das der protestbegabte Nachwuchs der Wellküren und der Biermösl Blosn in Ingolstadt darbringen wollten. Als sie "dumm" auf "Kultusministerium" reimt, perlt die Stimmung ganz besonders.

Um so größer gerät die Überraschung, als 20 Minuten vor 12 plötzlich und unerwartet Bayerns Kultusminister auf die Bühne tritt. "Ich stelle mich der Diskussion", verkündet Ludwig Spaenle. Der CSU-Politiker wird mit viel wohlwollendem Beifall begrüßt. "Wir haben nicht gewusst, dass er kommt", raunt Renate Roters von der G8-Elterninitiative, "aber gehofft."

Spaenle verweist auf die "vielen Maßnahmen", die sein Ministerium gegen die Überforderung der Gymnasiasten schon unternommen habe, und geizt dabei nicht mit Fachvokabular. Er berichtet, "dass das Grundkursniveau des alten G9 im G8 als das gültige Leistungsniveau umgesetzt wird". Die Lehrer hätten unlängst eine "intensive fachliche Handreichung erhalten", in der stehe, "was genau sich ändert". Der Hinweis provoziert Zwischenrufe à la: "Das fällt euch aber früh ein!"

Spaenle geht auf alle Beiträge ausführlich ein. Zwei eloquente Elftklässlerinnen setzen ihm besonders zu. Laura Breitscheidel und Katja Walter, Schülersprecherinnen am Katharinen- Gymnasium, klagen: "Das Bildungsniveau leidet! Denn wir schaffen’s einfach nicht mehr, das Grundwissen zu vertiefen, weil wir ständig neuen Unterrichtsstoff bewältigen müssen."

Der Minister bemüht darauf den Begriff "zentralprüfungsrelevanter Kernstoff, der nun im Vordergrund der Vermittlung steht", aber zu überzeugen vermag das die zwei eher weniger.