Ingolstadt
Kleine Räder in der Kriegsmaschinerie

Neues Buch über die Schreckensjahre 1914 bis 1918 in Ingolstadt Mahnende Worte eines Historikers

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Ein Bild des Grauens mitten in der Heimat: Verwundete Soldaten im zum Lazarett umfunktionierten Ausbesserungswerk am Ingolstädter Hauptbahnhof - eines von zahlreichen historischen Fotos in Franz Hofmeiers neuem Buch über den Ersten Weltkrieg. - Foto: Stadtarchiv Ingolstadt

Ingolstadt (DK) Er möchte das Museum des Ersten Weltkriegs im Reduit Tilly näher an die Stadt Ingolstadt heranführen; dazu hat der Schulbuchautor Franz Hofmeier die 80-seitige Publikation "Im Maschinenraum des Ersten Weltkriegs" vorgelegt. Bei der Präsentation im Schloss gab es auch zeitkritische Worte.

Das Grauen an der Front ist weit weg. Scheinbar. Aber schon bald kann man die Folgen des Krieges daheim vor der Haustür besichtigen. In den monumentalen, 1914 eröffneten Hallen am Hauptbahnhof etwa. Eigentlich sollten hier Lokomotiven und Waggons instand gesetzt werden, stattdessen füllt ein Heer verwundeter Soldaten den weiten Raum - und es werden immer mehr. Derweil ringen die Arbeiter im Hauptlaboratorium und in der Geschützgießerei darum, in rauen Mengen Nachschub an Munition und Kanonen für die Front zu produzieren. Eine Abteilung der Geschossfabrik ist das Kavalier Dallwigk. Wenige Blocks weiter, im Schlachthof, zerlegen die Mitarbeiter mit hoher Schlagzahl Tiere; Fleisch für die kämpfende Truppe. Und ein bisschen was, wenn auch viel zu wenig, für die Heimatfront. Hier wird gehungert. Jahrelang. Die Nationalsozialisten werden im Zweiten Weltkrieg ihre Lehren daraus ziehen und die Versorgung der Deutschen über die brutale Ausbeutung besiegter Länder wie Polen, so weit es geht, aufrechterhalten. Man kann sagen: Auch so ernährt der Krieg den Krieg.

Der Ingolstädter Schulbuchautor und Oberstudiendirektor a. D. Franz Hofmeier hat das Kavalier Dallwigk, das Lazarett, den Schlachthof und 13 weitere Gebäude in Ingolstadt ausgesucht, die zwischen 1914 und 1918 Teil der gewaltigen Kriegsmaschinerie sind. Orte, wo sich das Grauen des Weltkriegs im Alltag ganz normaler Bürger widerspiegelt und sich so mancher Abgrund öffnet; tief in der Heimat. An jeden Ort hat Hofmeier eine Frage geknüpft, die von der lokalen Ebene aus dem Krieg in seinem allgemeinen Grauen nachspürt. Etwa: Wann wird ein Krieg zum Weltkrieg? Gibt es einen heiligen Krieg? Sind Erfinder mit schuld am Krieg? Was kostet ein Krieg? Und wer bezahlt eigentlich? So entstand das 80-seitige, reich bebilderte Buch "Im Maschinenraum des Ersten Weltkriegs. Eine Spurensuche in Ingolstadt", das jetzt erschienen ist.

Unterstützung bekam Hofmeier vom Museumspädagogischen Zentrum in München, dem Stadtarchiv Ingolstadt, den Historikern Ansgar Reiß und Tobias Schönauer vom Bayerischen Armeemuseum und den Histonauten, eine Gruppe von Geschichtsenthusiasten, die mit einem virtuellen Museum über die Kriegsjahre 1914 bis 1918 "Brücken zwischen dem Museum des Ersten Weltkriegs im Reduit Tilly und den 16 Orten in dem neuen Buch schlagen", wie Hofmeier bei dessen Präsentation im Neuen Schloss erzählte. "Die Histonauten sind also historische Überflieger, das sagt schon der Name."

Der Autor stellte klar: "Meine Spurensuche gehört nicht in die wissenschaftliche Linie. Ich lege keine neuen Forschungsergebnisse vor, sondern gebe denen ein Heft in die Hand, die über Aspekte des Ersten Weltkriegs allgemein und in Ingolstadt im Besonderen informiert werden wollen. Dieses Büchlein richtet sich an interessierte Laien, Pädagogen, Geschichtslehrer und deren Schüler."

Mit dieser Zielgruppe kennt er sich gut aus: Hofmeier, Jahrgang 1949, Lehrer für Geschichte, Sozialkunde und Deutsch, hat lang im bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) gearbeitet. Dort war er auch für den Geschichtelehrplan zuständig. 1989 wurde er stellvertretender Leiter des Reuchlin-Gymnasiums; Hofmeiers Leistungskurse in Geschichte waren bei den Schülern sehr beliebt. Er schrieb zahlreiche Bücher für den Unterricht. 1997 wechselte er als Leiter an das Descartes-Gymnasium in Neuburg und blieb es bis zu seiner Pensionierung 2012. Seither führt Hofmeier jedes Jahr ehrenamtlich gut 2000 Schüler durch das Museum des Ersten Weltkriegs in Ingolstadt.

Hofmeier sei "als alter Schulmann ein Glücksfall!", betonte eingangs der Leiter des Museumspädagogischen Zentrums in München, Josef Kirmeier, worauf Hofmeier seine Rede mit dem Satz "Der alte Schulmann tut sein Bestes!" begann. Kirmeier nutzte die Gelegenheit für eine zeitkritische Anmerkung: "Wir müssen uns der Geschichte stellen! Sie soll in der politischen Bildung an den Schulen wieder einen ganz anderen Stellenwert bekommen - gerade in einer Zeit, in der wir in unserem demokratischen Selbstbewusstsein nicht mehr ganz so sicher sind." In einer Zeit also, da fragwürdige Tendenzen und Thesen propagiert würden, "die man vor zehn Jahren noch nicht so deutlich in der Öffentlichkeit dargestellt hätte", sei es die von der AfD angeprangerte Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten oder Fragen der Kriegsschuld. Kirmeier: "Wir müssen dem ein ganz anderes Verständnis geben! Wir müssen über die Folgen von Krieg sprechen und deutlich machen, dass es in einem Krieg keine Sieger geben kann. Die Bevölkerung wird immer verlieren."

"Im Maschinenraum des Ersten Weltkriegs" ist im Museum des Ersten Weltkriegs und im Buchhandel erhältlich. Franz Hofmeier ist auch Autor des Buchs "Der Erste Weltkrieg: Für Kinder und Erwachsene".