Ingolstadt
"Viele Eltern und Lehrer sind überrascht"

Manche Erwachsene erfahren in Kindolstadt Unerwartetes wenn sie es schaffen, sich zurückzuziehen

03.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:43 Uhr

Eine Welt ohne Erwachsene: In monatelanger Arbeit haben Kinder selbst entworfen, wie ihre Stadt funktionieren soll. Hunderte junge Bewohner haben die Vision in den vergangenen Tagen mit Leben erfüllt. Kinderreporter berichten täglich aus der Stadt - heute auf Seite 34. - Fotos: Hammer

Ingolstadt (DK) Halbzeit in Kindolstadt. In der Kinderstadt für 7- bis 13-Jährige wird seit Montag gelebt und gearbeitet, Steuern werden eingezogen und Ehen geschlossen. Maria Mayer ist die Projektleiterin der Initiative des Stadttheaters und hat natürlich keinen Tag in Kindolstadt verpasst.

Die erste Woche ist fast vorbei. Wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Maria Mayer: Dass es sehr gut angelaufen ist und von den Kindern sehr gut angenommen wird. Es ist jetzt 15 Uhr und ich fürchte, dass wir in einer Stunde wieder wegen Überfüllung schließen müssen.

 

Es gab eine lange und intensive Vorbereitungszeit von Kindolstadt. Hat es dennoch Überraschungen gegeben?

Mayer: Ja, es hat sich am ersten Tag sehr schnell gezeigt, dass unser Finanzsystem, das sich die Kinder ja selbst überlegt haben, doch zu kompliziert ist. Das mussten wir kurzfristig ändern, aber jetzt läuft es sehr, sehr gut. Eigentlich sind wir nur überrascht, wie gut es läuft und dass trotz des Regens so viele Kinder kommen, dass wir fast aus allen Nähten platzen.

 

Gab es außer dem Finanzsystem Punkte, an denen sich die Realität nicht an die Theorie gehalten hat?

Mayer: Da muss ich tatsächlich nachdenken. Höchstens Kleinigkeiten. Ich bin aber auch ständig am hin- und herlaufen und bekomme manche Sachen nur partiell mit. Auch weil wir hier sehr gute Mitarbeiter haben, die alle recht selbstständig arbeiten. Das ist großartig!

 

Können Erwachsene etwas von Kindolstadt lernen?

Mayer: Zum einen können sie hier lernen, dass Kinder durchaus in der Lage sind, selbstständig zu arbeiten. Ich merke, dass viele Eltern und auch Lehrer überrascht sind, was ihre Kinder und Schüler hier schaffen, wie konzentriert sie arbeiten können und wie reibungslos das alles funktioniert. Das ist wohl die schönste Erkenntnis, die man aus Kindolstadt rausziehen kann: dass man Kindern etwas zutrauen kann, darf und auch soll.

 

Beim Zuschauen fällt auf, dass es nicht allen Eltern leichtfällt loszulassen. Ich habe einen Vater gesehen, der mehrmals von Kindern aufgefordert werden musste, sich an die Regeln zu halten, Kindolstadt zu verlassen und aufzuhören, seine Tochter ständig mit dem Handy zu fotografieren.

Mayer: Die Erfahrung, die ich hier mache, ist, dass geschätzt 90 Prozent der Eltern das System akzeptieren und deswegen nur kurz mit reingehen, vielleicht beim Bürgerpass-Ausfüllen helfen, die ersten Schritte begleiten und dann wieder gehen. Es gibt aber immer auch ein paar Eltern, die es nicht schaffen loszulassen und immer behüten wollen. Das ist für uns Betreuer ärgerlich, aber vor allem für die Kinder, da es das gesamte Spiel natürlich unterwandert.

 

Am Sonntag ist Kindolstadt geschlossen, aber an diesem Samstag das erste Mal acht Stunden von 10 bis 18 Uhr am Stück geöffnet. Sonst gab es immer eine Pause zwischen den Vormittagen für Schulklassen und den öffentlichen Nachmittagen. Macht das für Kindolstadt einen Unterschied?

Mayer: Das bedeutet, dass wir keine Mittagspause haben und deswegen acht Stunden durcharbeiten müssen. Ich bin schon gespannt, wie gut wir das schaffen (lacht). Wir werden das natürlich schaffen, aber am Abend wohl nicht mehr so fit sein.

 

Auch am Samstag gilt die Grenze von 300 Kindern. Es könnte also sein, dass Kindolstadt wieder vorübergehend geschlossen werden muss?

Mayer: Ich befürchte tatsächlich, dass, wenn das Wetter passt, ich schon um 10.30 Uhr schließen muss. Das möchte ich natürlich eigentlich nicht, weil ich ja keine traurigen Kinder abweisen will. Das ist wohl das Schlimmste, was man mir hier antun kann.

 

Was wird von Kindolstadt bleiben?

Mayer: Ich hoffe, dass in Ingolstadt, bei der Stadt und allen, die dabei waren, die Gewissheit bleibt, dass man Kindern etwas zutrauen kann. Was sie alles können und schaffen. Schließlich ist Kindolstadt eine Vision der Kinder, die hier umgesetzt wird. Und ich hoffe, dass es in ein paar Jahren ein weiteres Kindolstadt geben wird - größer und länger.

 

Die Fragen stellte

Johannes Hauser.