Ingolstadt
Jagdszenen in der Fußgängerzone

Unterhaltsam, satirisch und düster: Michael von Benkel liest aus seinem neuen Roman "Die Rache"

11.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Krimizeit in der Flankenbatterie: Die Fangemeinde Michael von Benkels lauscht den Szenen aus seinem neuen Roman - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Wer Michael von Benkel kennt, der weiß, dass dieser Mann für eine (künstlerische) Überraschung immer gut ist. An der Gitarre ebenso wie an der Tastatur. An der Staffelei gleichermaßen wie in der Bildhauerei. Für Lesungen gilt dies im Übrigen auch.

Von Benkel hat am Samstagabend im voll besetzten Gewölbe des Kunstwerks im Klenzepark noch keine zehn Sätze aus seinem neuen Roman „Die Rache“ (Bayerischer Poeten- und Belletristikverlag, 9 Euro) zitiert, da platzen plötzlich zwei Männer in den Vortrag und fallen dem Autor ins Wort: „Halt, sofort aufhören. Das Buch ist beschlagnahmt.“

Michael von Benkel, der als vielseitig talentierter Künstler ein gewisses Ansehen in der Schanz genießt, also doch ein Plagiator? Einer, der schamlos abkupfert und deshalb jetzt die Vollstrecker des Urheberrechtsschutzgesetzes am Hals hat? Im Hauptberuf Richter hätte er es besser wissen müssen, möchte man ihm von den Zuhörersitzen aus zurufen. Doch das Publikum ist wie versteinert und sieht tatenlos zu, wie von Benkel rüde seiner gedruckten Sätze entledigt wird – von keinem Geringeren als den eigenen Verlegern.

Eine Überraschung à la von Benkel eben. Ein szenisches Gimmick, das jeden routinierten Ablauf, den man von einer solchen Veranstaltung erwartet, ins Gegenteil verkehrt. Nicht einfach eine Lesung also, sondern eine von Benkelsche Show, in der das Allroundtalent mit dem schmeichelnden Timbre in der Stimme alles gibt. Sowohl an den Saiten, wenn er zwischen den Kapiteln zur Gitarre greift und die Zuhörer mit geschmeidigen Riffs berieselt. Als auch an den Seiten, wenn er von dem zwielichtigen Kindsmörder Franz Zechinger aus Ingolstadt erzählt, der seiner Strafe vor dem Landgericht allem Anschein nach entgeht und so den ungezügelten Gerechtigkeitssinn des Hauptkommissars Anton Bolik entfacht, der die Wahrheit über den Tod des kleinen Marvin ans Licht bringen will. Mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste. So zumindest verspricht es der Buchdeckel zu von Benkels neuem Werk.

„Alles live“, raunt dieser wie beiläufig seinen Gästen zu, als Dominik Neumayr und Gerhard Trautmannsberger mit dem Autorenvertrag wedeln, den der Schriftsteller noch nicht unterschrieben habe, wie sie ihm auf der Bühne mitteilen.

Doch wie war das noch mit der Vermutung? Von Benkel, ein Literaturdieb? Als der Autorenname fällt, der im Vertrag eingetragen ist, lässt sich die erschreckende Mutmaßung nicht ganz verwerfen: „Jens Rohrer steht da“, brummelt der Mann mit der Nickelbrille und der Melone auf dem Kopf. Und erlaubt es sich, diesen durchzustreichen. Der besagte Kollege aus der schreibenden Zunft sitzt derweil im Publikum, schweigt und genießt.

Freispruch im zweiten Kapitel. Tumult im Gerichtssaal, der mit seinen Marmorplatten atmosphärisch eine „leblose Sachlichkeit“ verbreitet, wie der Autor es schildert. Ein verschnupfter Ermittler, der dem Freigesprochenen den Rotz ins Gesicht niest und, als er das Malheur mit einem Taschentuch beseitigen will, diesen auch noch mit ausgelaufener Kugelschreibertinte beschmiert, was den Verbrecher zur Weißglut bringt. Später: Mörderjagd in der Fußgängerzone mit zwei schnurrbärtigen Beamten, eher schlichten Gemüts, die sich daneben auch noch mit einer vorlauten Clique junger Russen herumschlagen müssen. Hier lässt von Benkel kaum ein Fettnäpfchen aus, in das seine Protagonisten tappen könnten.

Die Beschreibungen des Autors fahren eine harte Linie zwischen nettem Krimiklamauk à la Hubert und Staller und den düsteren Szenarien aus kaltblütig komponierten Schwedenkrimis. Beispielsweise als er die Entführung des kleinen Jungen schildert („Das böseste Kapitel des Buches“, so der Autor). So wird ein fiktives Bild eines hellen Ingolstadts und eines Dunkel-Ingolstadts gezeichnet, das, angereichert mit satirisch pointiertem Lokalkolorit, tief in die Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt. Dem Publikum hat sie gefallen: die Lesung, die Künstlershow. Dieser von Benkel eben, der, wäre er an einem Sonntagabend aufgetreten, auch so manchen Fernseh-„Tatort“ hätte vergessen machen können.