Ingolstadt
Im Namen des Unrechts

30.06.2011 | Stand 03.12.2020, 2:40 Uhr

Licht ins Dunkel der Geschichte: Ulrich Baumann präsentiert die Wanderausstellung „Was damals Recht war . . .“ im Keller des Zeughauses. Für den Projektleiter der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ ist das Neue Schloss die 21. Station. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Der imposante Keller des Zeughauses im Neuen Schloss erlebt die Premiere als Ausstellungsort: Seit heute ist dort die Schau „Was damals Recht war . . .“ zu sehen. Sie schildert mit Einzelschicksalen Verbrechen der NS-Militärjustiz und nennt Täter, von denen keiner je verurteilt worden ist.

Düsternis allenthalben – inhaltlich wie atmosphärisch. In der Tiefe des Raumes, unter den mächtigen, sanierungswürdigen Gewölben, schimmern einsam die Schicksale. Auf matt leuchtenden Stelen – fast die einzigen Lichtquellen im Keller – erzählen Tafeln, Fotos und Dokumente tragische Geschichten von Opfern der Militärjustiz in der Nazi-Diktatur: Deserteure, Widerstandskämpfer oder so genannte Wehrkraftzersetzer; ein Delikt, das deutsche Richter im Dienste des NS-Regimes konstruiert hatten, um Soldaten wie Zivilisten mit Angst und Schrecken zu disziplinieren.

Auf dem Weg von Schicksal zu Schicksal knirscht der Schotterboden unter den Füßen der Besucher. Sie begegnen dem Münchner Kommunisten Franz Scheider, der als Soldat auf dem Peloponnes griechischen Partisanen Militärgeheimnisse verraten hatte. 1944 wurde er zum Tode verurteilt und erschossen. Oder Oskar Kusch, ein junger Kapitänleutnant, Befehlshaber von U-154. Auf Feindfahrt wagte er es, Hitlers Kriegsführung zu kritisieren. Der Erste Offizier Ulrich Abel denunzierte ihn sofort. Ein Marinegericht sprach den Kommandanten schuldig. 1944 wurde Kusch erschossen.

Die Betrachter begegnen auch Tätern. Erich Schwinge etwa. Er fällte als Militärrichter Todesurteile, musste sich jedoch nie dafür verantworten. Schlimmer noch: 1954 wurde er Rektor der Universität Marburg. Die CDU schätzte Schwinge gar als Gutachter für die Beurteilung der Wehrmachtsjustiz, deren „Ehre“ er bis zu seinem Tod zu retten versuchte. Der Mann repräsentiert damit noch ein weiteres düsteres Kapitel aus der Geschichte der Rechtsprechung in Deutschland: Kein einziger NS-Jurist ist später in der Bundesrepublik verurteilt worden.

Die viel beachtete Wanderausstellung „Was damals Recht war . . .“ dokumentiert das Wüten der Wehrmachtsjustiz. Konzipiert hat sie die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. „Denn wir haben den Auftrag, auch die Erinnerung an andere Opfer der Nationalsozialisten zu pflegen“, erklärt der Projektleiter Ulrich Baumann. Das Ausmaß der Verbrechen erzählt viel über die totale Unterwerfung deutscher Juristen im Dienste der NS-Diktatur. Allein 15 000 Todesurteile ließen sie im Zweiten Weltkrieg an Fahnenflüchtigen vollstrecken. Im Ersten Weltkrieg waren es nur 48 – und das bei 13 Millionen deutschen Soldaten! Baumann erinnert auch an die Erfolge bei der Aufarbeitung der Verbrechen. Von 1998 bis 2009 hat der Deutsche Bundestag die meisten Unrechtsurteile der Wehrmachtsjustiz aufgehoben. Als Lehre aus der Geschichte wurde bei der Gründung der Bundeswehr auf eine Militärgerichtsbarkeit verzichtet, erzählt Baumann.

Das Neue Schloss ist die 21. Station der Wanderausstellung. „Sie läuft eigentlich sehr ruhig“, berichtet der Projektleiter. Das bedeutet: Von empörten Attacken wie in den neunziger Jahren bei der Ausstellung „Vernichtungskrieg“ über die Verbrechen der Wehrmacht ist das Werk seiner Stiftung bisher verschont geblieben.

Ansgar Reiß, der Leiter des Bayerischen Armeemuseums, freut sich, die Schau bis 18. September in seinem Haus zeigen zu dürfen. „Sie ist ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zur Geschichte des 20. Jahrhunderts und damit hin zu den sehr schwierigen Themen Zweiter Weltkrieg und Drittes Reich.“