Ingolstadt
Im Kinderwagen verschüttet

Gertraud Dingler hat den zweiten Luftangriff auf Ingolstadt überlebt – Teile der Altstadt ein Trümmerfeld

27.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Einem Trümmerfeld glich die Gegend um die Sebastiankirche nach dem verheerenden Luftangriff vom 1. März 1945. - Foto: Sammlung Fegert

Ingolstadt (DK) Fast 200 Menschenleben forderte der Luftangriff vom 1. März 1945 auf Ingolstadt. Wie durch ein Wunder hat Gertraud Dingler als Baby überlebt. Seitdem feiert sie zweimal Geburtstag. Bei der Bombardierung waren auch die US-Schauspieler James Stewart und Walter Matthau im Einsatz.

Ihr Opa war es, der sie schreien hörte. So hat es Gertraud Dinglers Mutter ihr erzählt, denn sie selbst war vor 70 Jahren noch ein Kleinkind. Die Familie wohnte seinerzeit an der Friedrich-Ebert-Straße. Gegen 13 Uhr löste die Luftschutzwarnstelle dann an jenem 1. März 1945 Fliegeralarm aus. Was die Ingolstädter damals noch nicht wussten: Mehr als 250 B-24-Bomber plus Begleitjäger steuerten weit über der geschlossenen Wolkendecke auf die Stadt zu. Es war „die größte Luftflotte, die je im Anflug auf unsere Stadt war“, so der Heimatforscher Hans Fegert, der ein eigenes Buch darüber veröffentlicht hat.

In nur vier Minuten warfen die Flugzeuge ihre tödliche Last über der Stadt ab, insgesamt 600 Tonnen Brand- und Sprengbomben. Gertraud Dingler lag zu dieser Zeit in ihrem Kinderwagen, als eine Bombe das Elternhaus traf. „Der Wagen wurde durch den ganzen Flur geschleudert“, weiß sie aus den Erzählungen ihrer Mutter. Dabei hatte sie noch unglaubliches Glück im Unglück, als ein Balken herunterstürzte und irgendwie auf dem Kinderwagen zum Liegen kam. „Dadurch hatte ich Luft zum Atmen“, erzählt Gertraud Dingler, die bis 1964 in Ingolstadt wohnte und jetzt in Lindau lebt.

In dem Durcheinander, das nach dem Luftangriff herrschte, wurde sie zunächst nicht gefunden. Es war schließlich ihr Großvater, der sie schreien hörte. Nach vier Stunden hatten sich die Helfer bis zu ihr vorgearbeitet. Gertraud Dingler hatte überlebt und konnte unversehrt gerettet werden – fast zumindest. Im Kinderwagen lag eine heiße, kupferne Wärmeflasche, an der sie sich eine Ferse verbrannte. „Die Narbe sieht man noch heute“, sagt sie. Den Tag ihrer Rettung hat sie ihr Lebtag nicht vergessen: Gertraud Dingler feiert am 1. März stets nochmals Geburtstag.

Andere hatten weniger Glück. Eine schwere Bombe hatte das Tonnengewölbe unter der Rechbergstraße durchschlagen, was 50 Wehrmachtsangehörige das Leben kostete. Wie Fegert schreibt, erfolgte der Angriff „S.A. 3306“, wie er offiziell hieß, entlang der Bahnlinie von Reichertshofen bis Oberhaunstadt. Schwerpunkt war die nördliche Altstadt, was zur Folge hatte, dass Teile des historischen Zentrums buchstäblich in Schutt und Asche lagen. Das Schloss wies erhebliche Schäden auf, viele Häuser um den Paradeplatz waren nur noch Ruinen und die Umgebung der Sebastiankirche bis hin zur Beckerstraße „glich einer einzigen riesigen Bauschutthalde“, so Fegert. Nur 35 Verschüttete konnten dort lebend geborgen werden, 133 Menschen hatten den Tod gefunden. Schwere Treffer waren auch vom Nordbahnhof bis zur Gaimersheimer Straße zu verzeichnen sowie im Süden vom Hauptbahnhof bis nach Haunwöhr, wobei das Parkcafé im Luitpoldpark völlig zerstört wurde. An die 60 Löschmannschaften, darunter auch die Hitlerjugend, versuchten die ganze Nacht hindurch, die 80 registrierten Brände zu löschen. Die Bergungsarbeiten dauerten noch Tage.

Fast 200 Todesopfer forderte dieser zweite Luftangriff auf Ingolstadt, der tragischerweise auf einen Navigationsfehler zurückzuführen war. Ursprüngliches Ziel wären eigentlich deutsche Fliegerhorste mit den dort stationierten Me 262 wie etwa Neuburg gewesen. Doch wegen des schlechten Wetters und der geschlossenen Wolkendecke griff die US Air Force stattdessen Bahnhöfe und Nachschubwege an – und verfehlte die Bahnlinie nördlich der Donau um etwa einen Kilometer. Einer der Einsatzoffiziere der 453. Bombergruppe war der US-Schauspieler James Stewart. Unter den Besatzungsmitgliedern befand sich außerdem noch sein bekannter Kollege Walter Matthau.