Ingolstadt
"Ich war mir sicher – der ist tot"

Mordprozess nach Pfaffenhofener Bluttat: Angeklagter erzählt viel, gesteht aber nicht alles

18.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:48 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Ein beredsamer Angeklagter, doch an entscheidenden Stellen klaffen angeblich große Erinnerungslücken: Vor dem Ingolstädter Landgericht hat der Mordprozess gegen den 39-jährigen Münchner Stefan S. begonnen. Er soll im Juli 2013 in Pfaffenhofen den Getränkemarktleiter Dieter H. erstochen haben.

Es gibt Beschuldigte, die sich vor Gericht verkriechen, verstockt erscheinen, auf stur schalten. In diese Kategorie fällt der zuletzt arbeitslose Kaufmann Stefan S. nicht. Der Mann, der seit einem Dreivierteljahr in U-Haft und jetzt auf der Anklagebank des Schwurgerichts sitzt, ist mitteilsam, ja sogar eloquent. Rund eineinhalb Stunden lang hat er der Großen Strafkammer des Landgerichts zum Prozessauftakt am Donnerstagmorgen den Lauf der Dinge erläutert, wie er sie an jenem schicksalhaften 13. Juli vorigen Jahres in dem Getränkemarkt an der Scheyerer Straße in Pfaffenhofen erlebt haben will.

Diese Schilderungen sind mitunter sogar facettenreich – sie haben nur einen Nachteil: Es handelt sich durchweg nur um Fragmente angeblicher Eindrücke. Ein rundherum schlüssiger Tatablauf lässt sich daraus nicht rekonstruieren. Ein glattes Geständnis ist das auch nicht. Immer wieder nämlich sagt der Angeklagte Sätze wie diesen: „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern; ich habe dieses Bild im Kopf – aber es könnte auch anders gewesen sein.“

Fest steht für Ermittler und Ankläger bislang nur das, was in der mehrseitigen Anklageschrift von Staatsanwalt Jürgen Staudt zum Opfer der Bluttat festgehalten worden ist: Die Leiche des aus dem Landkreis Roth stammenden 61-jährigen Marktleiters Dieter H., die am Tag nach dem Vorfall von einem Kollegen im Geschäft gefunden worden war, wies laut Obduktion 17 Stellen mit Spuren stumpfer Gewalteinwirkung und 30 Stich- und Schnittwunden auf. Tödlich waren drei tiefe Stiche in die Brust gewesen, von denen einer den Herzbeutel des Opfers geöffnet hatte, so dass der Mann binnen kürzester Zeit innerlich verblutet war. Die Anklage gegen Stefan S. lautet nun auf Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge.

Die Anklagebehörde geht davon aus, dass der Beschuldigte an jenem Samstag die Einnahmen des Marktes, den er früher einmal selber geleitet hatte, stehlen oder rauben wollte. Weil dies nicht sofort gelang, soll er sich den ganzen Nachmittag über in dem Laden aufgehalten, sich dem Leiter gegenüber als Testkäufer der Betreiberkette ausgegeben und sogar fleißig bei typischen Arbeiten mitgeholfen haben. Erst am Abend, nach Schließung des Marktes, soll er dann dem Marktleiter eröffnet haben, dass jetzt ein Überfall anstand.

Aus dieser Situation soll sich erst ein Gerangel und dann ein regelrechter Kampf entwickelt haben, bei dem möglicherweise sogar der überfallene Kaufmann zuerst zum Messer gegriffen haben könnte – man befand sich schließlich in der Küche des Marktes. Jedenfalls trug auch der mutmaßliche Täter schwere Schnittverletzungen an der rechten Hand davon. Wie und wann das Messer mit der mindestens 16 Zentimeter langen Klinge letztlich zum Angeklagten kam, ist noch unklar. Er gab jetzt vor Gericht zu, dass er sich daran erinnert, zuletzt mit dem Messer in Händen vor dem reglosen Körper seines Kontrahenten gesessen zu haben: „Ich war mir zu hundert Prozent sicher – der ist tot.“

Hat der angebliche Täter auch mit einem Stock oder „nur“ mit den Fäusten auf sein Opfer eingeschlagen? Hat er in Tötungsabsicht zugestochen oder sind die gefährlichen Stiche in Bauch und Brust des Marktleiters in einer affektartigen plötzlichen Raserei erfolgt? Wo ist die mögliche Schlagwaffe geblieben und wo das Messer? Und hat der mutmaßliche Täter wirklich schon bei der Fahrt von München nach Pfaffenhofen die Absicht zu einem Diebstahl oder gar zu einem Raubüberfall gehabt?

Diese Fragen werden die Schwurkammer und gleich vier Sachverständige in den kommenden Monaten beschäftigen, denn mangels direkter Tatzeugen wird alles auf die Würdigung der Indizien und auf die Aussagen des Beschuldigten ankommen. Wie schon berichtet, sind zur Klärung des Falles bislang 15 Verhandlungstage angesetzt worden. Die Witwe und die beiden erwachsenen Söhne des Opfers verfolgen den Prozess als Nebenkläger mit eigener Anwältin. Im gut gefüllten Zuschauerraum sind auch weitere Familienangehörige versammelt. Das Medieninteresse ist groß – zumindest noch zum Auftakt.

Bei der Aufklärung des blutigen Dramas wird sicher auch die Vorgeschichte des Angeklagten eine große Rolle spielen. Da wird es insbesondere um seine offenkundige Spielsucht gehen müssen, die ihn nach eigenen Aussagen vor der U-Haft nahezu täglich umgetrieben hat. Bei angeblich inzwischen über 70 000 Euro Schulden hatte der frühere Handelsvertreter sich zuletzt mit kleinen Jobs und Einnahmen aus Automatenspielen über Wasser gehalten.

Immer wieder trieb es den jetzt 39-Jährigen deshalb in Spielotheken in der Landeshauptstadt und im Münchner Umland; selbst am Tattag will er früh morgens schon in einer Pfaffenhofener Spielhalle gewesen sein. Oft, so kann aus seinen Einlassungen vor Gericht geschlossen werden, war sein ganzes Sinnen darauf ausgerichtet, wann er wo wieder Geld in einen Glücksspielautomaten stecken konnte.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Stefan S. in den Tagen nach der Bluttat das im Getränkemarkt erbeutete Geld – aus der Kasse und aus dem Geldbeutel des Opfers fehlten insgesamt gut 2900 Euro – ebenfalls in Spielotheken eingesetzt hat. Anderseits konnte der ansonsten mittellose Mann, der bereits Antrag auf Hartz IV gestellt hatte, plötzlich auch einen neuen Staubsauer kaufen, sein Handy und seinen Tablet-Computer aus dem Pfandhaus auslösen und sich auch endlich vom (angeblich bereits zurückgelegten) Unterhaltsgeld für seine Tochter und dem Bargeld für die Miete trennen.

Dass er das Geld in Pfaffenhofen wirklich erbeutet hat, gibt der Angeklagte bislang nicht zu. Er will sich nicht mehr daran erinnern können. Auch die Angaben zu seinem Fluchtweg bleiben vage. Er sei zwar mit seinem Auto vom Getränkemarktparkplatz wieder nach Hause gefahren, doch den genauen Weg wisse er nicht mehr, ließ er das Gericht wissen. Unterwegs habe er jedenfalls irgendwo nahezu seine komplette Kleidung und einige Taschen mit Verbandmaterial aus dem Getränkemarkt in eine rote Mülltonne entsorgt. Vielleicht sei ja sogar das fragliche Messer in dieser Tonne gelandet – er wisse es nicht mehr.

Gefasst worden war Stefan S. schon wenige Tage später, weil er vor der mutmaßlichen Tat bereits vergeblich versucht hatte, in dem Pfaffenhofener Markt mit zwei nicht mehr gedeckten EC-Karten Getränke zu erstehen. Die gespeicherten Kontodaten hatten auf ihn gewiesen. Weil er zudem mit seinen Schnittverletzungen in mehreren Münchner Krankenhäusern aufgetaucht war, hatten die Ermittler nur noch eins und eins zusammenzählen müssen.

Der Prozess wird am 6. Mai fortgesetzt.