Ingolstadt
Alle Jahre wieder

Warnstreik auf der Audi-Piazza ist ein Ritual heuer wirkt er so ernst wie lange nicht

10.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:50 Uhr

Mehr als 15 000 Streikende aus der gesamten Region kamen nach Angaben der IG Metall auf die Audi-Piazza. Fass-Trommler Peter Adlfinger war der lauteste davon. Unter den Rednern waren Audi-Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch und Jörg Schlagbauer (rechts), der Vertrauenskörperleiter beim Autobauer. - Fotos: Eberl

Ingolstadt (DK) Es kann natürlich in den Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie ganz schnell gehen. Doch davon ging gestern auf der Audi-Piazza kaum jemand aus. Vielmehr rüstet sich die Branche für einen Arbeitskampf wie lange nicht mehr. Mehr als 15 000 Streikende gaben ein deutliches Zeichen.

Sie wollten eigentlich nur zu einer Werksführung. Doch die Solidarität in Gewerkschaftlerkreisen kennt offenkundig keine Grenzen. Also schlossen sich gestern die 30 Betriebsräte der Produktionsgewerkschaft PRO-GE aus Österreich mehr oder weniger spontan dem Demonstrationszug an, der sich aus zwei Richtungen über die Ettinger Straße auf die Audi-Piazza ergoss. Von Betrieben aus der gesamten Region strömten die Arbeitnehmer der Metall- und Elektrobranche zusammen. So wie alle Jahre wieder, wenn die IG Metall (IGM) in der Tarifrunde trommelt und die Muskeln spielen lässt. Der Auftrieb ist schon ritualisiert, mit Bühne, Musikanlage, Schals und Imbisswagen. Heuer wird aber tatsächlich schon wenige Tage nach Ende der Friedenspflicht besonders laut getrommelt und in die Trillerpfeifen geblasen, weil der Verhandlungsstand eine schnelle Einigung kaum vermuten lässt. Fünf Prozent mehr Lohn will die IGM, 2,1 Prozent aber auf zwei Jahre verteilt boten die Arbeitgeber zuletzt. "Frechheit", "Provokation", "Gutsherren": Die Tarif-Rhetorik packte nicht nur Bernhard Stiedl, der zweite Mann an der Spitze der Ingolstädter IG Metall, in seiner Begrüßungsrede aus. "Mehr als 15 000 Streikende - so viele hatten wir lange nicht. Das ist ein ganz starkes Zeichen", rief Stiedl. Seine Stimme klang dabei schon reibeisenrau, ganz in der Tradition des IG-Metall-Bezirksleiters Jürgen Wechsler, der vergangene Woche beim Warnstreikauftakt nächtens im Audi-Werk als Hauptredner sprach.


Gestern erledigte es die örtliche IG Metall sozusagen mit Hausmitteln, also ihrem eigenen Personal, das aber natürlich in vielen Arbeitskämpfen auf das Einschwören der "lieben Metallerinnen und Metaller" versiert ist. Und Audis Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch, Jörg Schlagbauer (oberster IG-Metaller bei Audi) und Hauptredner Johann Horn, Chef der Ingolstädter IGM, gaben alles. Die Zeichen stehen auf Sturm. Offenbar laufen schon konkrete Pläne für einen 24-Stunden-Ausstand im Audi-Werk. Horn deutete ihn schon an. "Wenn bis Pfingsten keine Einigung erzielt ist, werden wir die Warnstreiks massiv ausweiten", drohte er und klang noch ernster als sonst. Als er einen 24-Stunden-Warnstreik in den Raum stellte und ihn mit den Worten "Das wird richtig teuer" garnierte, brandete der wohl größte Jubel unter den streikenden Metallern auf. Schon gestern musste Audi nach Unternehmensangaben wegen des Warnstreiks rund 160 Autos weniger bauen.

Peter Adlfinger ließ seinen Hammer besonders laut auf das rote Streikfass donnern. Der Mann aus der Werksinstandhaltung von Audi ist auf dem Platz nicht zu überhören. Er gibt wieder, was viele denken: "Wir wollen Gas geben." Nochmals trommelte er los. "Nicht dass die denken, dass da Wallfahrer kommen." Die - das ist der Audi-Vorstand, stellvertretend für die ganzen Arbeitgeber der Branche. "Es liegt nur an ihnen", sagte Adlfinger und lachte. Er deutete auf den "Fünf-Prozent"-Aufkleber auf dem Fass. "Der Arbeitnehmer wäre sofort zufrieden..."

Das gilt nicht für alle seine Kollegen. Haydar Aydin vom Audi-A 4-Band geht sogar noch weiter: "Fünf Prozent reichen nicht, wir wollen zehn Prozent" hatte er auf ein Pappschild gepinselt, das er an einem Besen in die Luft hielt. "Alle lächeln mir zu", berichtete er. Er meinte es durchaus ernst. "Von 0,9 Prozent mehr kann ich meine Familie nicht ernähren", beschrie er das ursprüngliche Arbeitgeberangebot. "Das niedrigste Angebot seit 1945", wusste sogar Redner Johann Horn.

"Werden Sie vernünftig", rief Bernhard Stiedl den Arbeitgebern zu, denen auch Jörg Schlagbauer einen Sinneswandel empfahl: "Man meint manchmal fast, das Denken an ihr Vermögen blockiert ihr Denkvermögen . . ." Dem Fass-Trommler Adlfinger schwante es aber: "Das wird nicht der letzte Warnstreik gewesen sein."