Ingolstadt
Für ein würdiges Gedenken

Der Historiker Theodor Straub plädiert für eine jüdische Ausstellung im Taharahaus am Westfriedhof

26.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:26 Uhr

Das Taharahaus am Westfriedhof wurde in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts errichtet. Bis Mitte der 30er-Jahre fanden dort Beisetzungen nach jüdischem Ritus statt. Straub möchte in dem von Feuchtigkeit bedrohten Gebäude eine Ausstellung über die jüdische Gemeinde Ingolstadt unterbringen. - Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Der Historiker Theodor Straub fordert die Stadt auf, im jüdischen Teil des Westfriedhofs eine "würdige Gedenksituation" zu schaffen. Das sagte er bei einem Vortrag beim Historischen Verein.

Das Taharahaus sei auch nach der Sanierung vor einigen Jahren von Feuchtigkeit im Mauerwerk bedroht. Außerdem plädiert Straub für eine dauerhafte Ausstellung in diesem Gebäude, in dem bis in die 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts Beerdigungen nach jüdischem Ritus stattfanden. Dies werde von der Stadt Ingolstadt zu seinen Lebzeiten offenbar verzögert, so der 87-Jährige bei seinem Vortrag "Der vaterländische Beitrag der Juden im Ersten Weltkrieg am Beispiel der Militärstadt Ingolstadt". Straub sprach im Rahmen des Herbst-/Winterprogramms des Historischen Vereins im Stadtmuseum.

In Ingolstadt durften sich Juden ab 1862 wieder niederlassen. Die "winzig kleine Gemeinschaft jüdischer Ingolstädter" zählte zu ihren Hochzeiten gut 100 Personen und bildete seit 1892 die einzige jüdische Kultusgemeinde Oberbayerns außerhalb von München. Von Anfang an sei es ihr Ziel gewesen, sich in die städtische Gesellschaft zu integrieren, was zumindest teilweise auch gelang. "Liberale Vereine nahmen Juden gerne auf", betonte Straub. Nach seinen Erkenntnissen engagierten sie sich in vielen Organisationen, Verbänden und Parteien, sie nahmen am kulturellen Leben teil, gründeten Geschäfte, besaßen Betsaal und Friedhof und beschäftigten einen Lehrer und Kantor, aber integrierten zugleich ihre Kinder in den verschiedenen christlichen Schulen.

"Den Kriegsausbruch erlebten sie wie alle anderen auch", so Straub weiter. Die jüdischen Ingolstädter sahen den Krieg darüber hinaus "als große Chance für Assimilation und Integration". Ihre "Liebesgaben" (Spenden) kamen Kriegswaisen und Soldatenfamilien zugute, wie sich Juden auch freiwillig in der Sanitätskolonne oder beim Frauenverein des Roten Kreuzes engagierten und dafür mit dem König-Ludwig-Kreuz geehrt wurden. Meta Gutmann wurde beispielsweise damit ausgezeichnet, sie wurde 1943/44 in Auschwitz ermordet. Viele Juden spendeten laut Straub auch für die Nagelsäule, die 1916 an der Ecke Donaustraße/Tränktorstraße aufgestellt worden war. Die Säule bestand aus einem Tuffsteinsockel, der heute Teil der Mahn- und Gedenkstätte im Luitpoldpark ist, einem 3,40 Meter langen, mächtigen Eichenstamm und einer Art Kapitel an der Spitze, das seit dem Ende der Säule im Jahr 1965 (sie stand zuletzt im Luitpoldpark) verschollen ist. Man konnte Nägel in verschiedenen Metallen für zehn und drei Mark sowie 50 Pfennig kaufen und den Baumstamm benageln. Laut Straub wurden 18 000 Nägel verkauft und rund 20 000 Goldmark eingenommen, die unter anderem der Unterstützung von Kriegsopfern dienten.

Als Landesfestung nahm Ingolstadt eine besondere Rolle unter den bayerischen Garnisonsstädten ein. Insgesamt dienten in Ingolstadt während des Ersten Weltkriegs rund 1300 jüdische Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. 65 Soldaten fielen im Krieg, mindestens 200 wurden später von den Nazis ermordet. Von den rund 100 Ingolstädter Juden haben mindestens 23 Kriegsdienst geleistet, so Straub in dem 2000 erschienenen Buch "Ingolstädter Gesichter", mindestens fünf sind gefallen. Straub hob auch die große Leistung der vielen jüdischen Militärärzte hervor.

Im jüdischen Teil des Westfriedhofs hat die Stadt einen Gedenkstein für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aufgestellt. "Die Stadt Ingolstadt gedenkt in Trauer der im Ersten Weltkrieg 1914-1918 gefallenen jüdischen Mitbürger Ernst Halberstadt, Adolf Kuhn und aller jener, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933-1945 Opfer der Verfolgung geworden sind." Wie Straub sagte, sei zur Zeit der Errichtung des Gedenksteins in den 70er-Jahren die genaue Anzahl der gefallenen jüdischen Soldaten noch nicht bekannt gewesen. In diesem Friedhof stehen noch rund 50 Grabsteine sowie das leer stehende Taharahaus, dessen Mauern laut Straub feucht sind. Nach seinen Vorstellungen sollte dort eine Bilderausstellung zur Geschichte der Juden in Ingolstadt installiert werden. Außerdem schlägt er vor, auf mehreren Listen der ermordeten und gefallenen jüdischen Ingolstädter, jüdischen Soldaten aus Ingolstadt sowie in Ingolstadt stationierten jüdischen Soldaten zu gedenken.

Als auffällig bezeichnete Straub den frühen Beitritt jüdischer Händler zur ab Mai 1919 gegründeten Einwohnerwehr, die es neben Ingolstadt in vielen Gemeinden gab. Sie sollten als lokaler Ordnungsdienst neben der Polizei dienen und im Ernstfall der Reichswehr unterstellt werden. Mitte 1921 wurden sie aufgelöst. Dagegen sei Sanitätsrat Ludwig Liebl (1874-1940), Gründer der früheren Ingolstädter Klinik sowie der Ortsgruppe der NSDAP, des Donauboten und des NS-Ärztebundes, erst später zur Einwohnerwehr gestoßen. Straub bezeichnete Liebl als den "größten Nazi von ganz Ingolstadt". Es sei eine Schande, dass Liebl auf einer Orientierungstafel bei der Aussegnungshalle am Westfriedhof immer noch als Ehrenbürger der Stadt genannt werde.