Ingolstadt
Feuer frei für Freunde

Tiroler weihen Replik ihrer 1809 eroberten Schützenfahne im Schlosshof

23.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:53 Uhr

Fahnenkuss: Das Original der in den Napoleonischen Kriegen von bayerischen Truppen eroberten Fahne lagert im Armeemuseum im Schloss. Eine Abordnung aus Jochberg (bei Kitzbühel) samt Bürgermeister kam am Samstag zur Weihe der Replik - Foto: Eberl

Ingolstadt (reh) Die Schüsse donnerten im Schlosshof. Einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal. Die Schrobenhausener Schützen ließen es für diesen Anlass krachen, bis das Trommelfell schmerzte. Und auch die weiter angereisten Gäste feuerten mehrfach. Aber ebenfalls nur zum Salut in die Luft.

Vor mehr als 200 Jahren hatten Bayern und Tiroler in den Napoleonischen Kriegen noch aufeinander geschossen. Am 11./12. Mai 1809 am Pass Strub zwischen Lofer und St. Johann in Tirol nahe der heutigen Grenze ganz besonders heftig. „Die Kämpfe waren geprägt von einer großen Grausamkeit“, berichtete Ansgar Reiß, der Direktor des Bayerischen Armeemuseums im Neuen Schloss. Freischärler, Terroristen – so hätten die bayerischen Truppen die Tiroler Verbände gesehen und beschlossen: „Gegen die ist jedes Mittel Recht.“ Erst im fünften Anlauf gelang es den Bayern, den Pass „zu nehmen“, wie man militärisch korrekt sagt. Sie eroberten dabei auch etwas, was im Jahr 2015 noch von so großer Bedeutung ist, dass am Samstag eine rund 70-köpfige Gruppe aus Tirol zum Ingolstädter Schloss eilte, um Tuchfühlung aufzunehmen: mit der Schützenfahne des „Viertls Jochberg“, die im Armeemuseum lagert.

Die Gemeinde Jochberg (Nachbar von Kitzbühel direkt am Pass Thurn) und die heutige Oppacher Schützenkompanie (benannt nach dem Hauptmann aus ihrem Dorf, der die Jochberger bei den Kämpfen befehligte) haben eine Kopie angefertigt, die am Wochenende mit dem sogenannten Fahnenkuss – dem gegenseitigen Berühren – feierlich geweiht wurde. Die Landesausstellung zu Napoleon im Schloss war dafür der perfekte Anlass.

Die Bayern waren seinerzeit auf Befehl des französischen Feldherrn einmarschiert. „Bayerns einziger Angriffskrieg“, bekannte der Ehrengast des Tages: Wolfgang Prinz von Bayern, der dem Treffen im Schlosshof durchaus eine historische Dimension zumaß. Die Zeremonie könne als „ein kleiner Teil der Wiedergutmachung“ gesehen werden. Inzwischen leben Bayern und Tiroler aber „seit Generationen in Frieden und Freundschaft“ als Nachbarn nebeneinander.

Das kann auch der Jochberger Bürgermeister Heinz Leitner bestens bestätigen. Rund 1500 Bewohner zählt seine Gemeinde. „In den Ferien sind es doppelt so viele: alle aus Bayern“, berichtete er lachend. Die Schützenfahne sei ihm und den anderen Gästen wichtig, „nicht aus Kriegsbegeisterung oder falsch verstandenem Patriotismus“. Sie sei aber Teil der eigenen Geschichte, „wir wollen sie ins Bewusstsein der Jochberger bringen“.

Der Anlauf dazu war lang. Bereits in den 1970ern habe es Bemühungen gegeben, die Fahne zurückzubekommen, sagte Bürgermeister Leitner. „Das lief sogar über Wien“, also höchste politische und diplomatische Kreise. Aber aus der bayerischen Staatskanzlei sei damals ein klar formuliertes Schreiben gekommen: „Das ist ein Einzelstück des Bayerischen Armeemuseums, das bekommen Sie nicht.“

Das gilt auch heute noch so. Das Original lagert, wie mehr als ein halbes Dutzend anderer Tiroler Schützenfahnen aktuell im Museumsdepot, nachdem es (wegen der Umbauten für die Landesausstellung) aus der Dauerausstellung genommen wurde. „Und im Tiroler Landesmuseum in Innsbruck sind einige bayerische“, sagte Direktor Ansgar Reiß, der daran auch nichts ändern möchte. „Das ist ja gerade das Spannende: Die sind beim jeweils anderen die Botschafter.“ Sie erinnern an die gemeinsame (blutige) Vergangenheit.

Die Jochberger haben seit dem Fahnenkuss in Ingolstadt ein Stück ihrer Geschichte zurück. Peter Springl, sonst Fraktionschef der Freien Wähler im Stadtrat, am Samstag Stellvertreter des OB, gab ihnen noch mit auf den Heimweg: „Bewahrt euch eure Identität, aber verschanzt euch nicht dahinter. Seid offen für Neues.“ Freundschaften haben Tiroler und Bayern am Samstag auf alle Fälle geschlossen – vielleicht sogar gerade wegen der Schüsse.