Ingolstadt
Der Pfarrer in der Bütt

Beim Faschingsgottesdienst in St. Paulus ließ sich Jürgen Habermann über das Stadtgeschehen aus

26.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:35 Uhr

Als Till Eulenspiegel hielt Pfarrer Jürgen Habermann den Ingolstädtern am Sonntag wieder den Spiegel vor. Seinem Faschingsgottesdienst wohnte auch wieder die Narrwalla bei. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Die fünfte Jahreszeit - sie macht zum Finale des närrischen Treibens auch vor der Kirche nicht Halt. Gestern war das jedoch völlig gewollt, als in St. Paulus der Gottesdienst am Faschingssonntag zusammen mit einem Großaufgebot der Narrwalla gefeiert wurde. Pfarrer Jürgen Habermann stieg sogar in die Bütt.

Sein satirischer Jahresrückblick in der Rolle des Till Eulenspiegel gehört inzwischen zum festen Repertoire der evangelisch-lutherischen Gemeinde und zieht deshalb mittlerweile auch Vertreter der Politik und Gesellschaft an. So dieses Mal eine Delegation des FC Ingolstadt 04, die dem "treuen Fan" Habermann, wie Repräsentant Werner Roß ihn nannte, einen Ball überreichte, was den Geistlichen in seinen Schlussworten offenbar dazu veranlasste, den Herrgott zu bitten, er möge beim Spiel der Schanzer am Nachmittag gegen Borussia Mönchengladbach ein Einsehen bei der Torausbeute haben. Zuvor bekam aber auch der abstiegsbedrohte FCI sein Fett weg, als der bunt kostümierte Eulenspiegel zum Rundumschlag über die Schanz und ihre wichtigsten Akteure hinweg ansetzte, damit in der voll besetzten Kirche für einige treffsichere Pointen sorgte und dafür immer wieder kräftigen Zwischenapplaus bekam.

Zwar gab es zu Beginn der Büttenrede ein paar Streicheleinheiten für die jüngsten Errungenschaften der Stadt wie das digitale Gründerzentrum, das neue Sportbad und die Unterführung am Hauptbahnhof, dann aber folgte die Abrechnung, in der Eulenspiegel darlegte, dass Spitzenpositionen in Wirtschaftsrankings auch ohne Autowerk möglich seien, siehe Ebersberg. Für ihn auch ein Indiz dafür, wie negativ sich Krisen auswirken können, wenn eine Stadt wie mit Superkleber mit nur einem großen Arbeitgeber verbunden sei. Er sinnierte deshalb: "Braucht man wirklich eine riesige Belegschaft? Elektro man mit weit weniger Menschen schafft." Viel Geld der Millionengewinne von Audi würde zu VW fließen. "Unser Geld", so der Schalk, der sogleich die "täglich 3000 Euro Rente" für Ex-Vorstand Winterkorn anprangerte.

Dem neuen Gönner der Stadt, Heimatminister Markus Söder, dichtete er für die zugesagten 80 Millionen Euro für die Theatersanierung gar ein Denkmal in der Schanz an, das anstelle des silbernen Audi TT am Audi-Kreisel errichtet werden soll und dem Klinikum eine spezielle Therapie für Patienten mit Grappa und Rum, entnommen "dem hochwertigen Schnapsbestand, so dass die Krankheit ruckzuck abgewandt."

Eine verbale Watschn gab es für die exorbitante Preisentwicklung am Ingolstädter Immobilienmarkt, auf dem nach Eulenspiegels Rechnung ein Haus so viel koste wie fünf Häuser in Hof oder Wunsiedel, und für die angespannte Verkehrssituation, die eines Tages dazu führen würde, dass Pendler im stockenden Berufsverkehr verwesen. Eine Alternative könne das von THI-Studenten entworfene Konzept für eine Seilbahn sein. "Ich glaube, umgesetzt wird das wohl nie", ahnte der Redner und setzte seine Hoffnung dafür in den geplanten Bahnhalt bei Audi.

Der Ingolstädter SPD legte er eine personelle Verjüngungskur nahe und empfahl hierfür die jetzt freie Michelle Obama, Gattin des Ex-US-Präsidenten. Auch die Freien Wähler sollten sich seiner Ansicht nach dahingehend Gedanken machen. "Joachim Gauck - nun arbeitslos - zieht doch weg aus Berlin, er spricht oft von Freiheit, fragen könnte man ihn", reimte er.

Neue, nicht ganz ernst zu nehmende Informationen hatte der Schalk noch über zwei Querdenker in der Kommunalpolitik parat: Christian Lange und Karl Ettinger. Während die Regierenden den einen als "Dauerstörer" verrufenen, gerne als Chefschnüffler unter Donald Trump beim FBI aufgeräumt sähen, würde der andere doch "nur von den Tierheimviecherln angeschmachtet", meinte Eulenspiegel.

Zum Ende der Bütt durfte auf den Bänken sogar noch geschunkelt werden. Anschließend gab es für Gastgeber Habermann den Orden der Narrwalla, überreicht von Präsident Robert Wegele, und als Abschluss des bunten Gottesdienstes einen Auftritt der Gardemädchen für alle Besucher.