Ingolstadt
"Wir sind euer zwölfter Mann"

FC-Fans stehen im Hochrisikospiel gegen Dresden wieder hinter ihrer Mannschaft

18.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:40 Uhr
Beim „Hochrisiko-Spiel“ zwischen dem FC Ingolstadt 04 und Dynamo Dresden verstärkten gestern Einheiten aus Dachau, Eichstätt, Nürnberg und Fürstenfeldbruck die Ingolstädter Polizei. −Foto: Cornelia Hammer

Ingolstadt (DK) "Die hauma weg", versicherte FC-Fan Dieter vor dem Match. Er sollte Recht behalten. Die Polizei sprach vor dem Hochrisikospiel vom erkennbaren Gewaltpotenzial der Dynamo-Fans. Sie sollte nicht Recht behalten. Es war bitterkalt im FC-Stadion, aber es blieb - bis auf die Fangesänge - ruhig.

Sven kam mit Freund Falk und dessen Sohn aus München. "Wir sind aus Dresden, leben aber in München. Wir freuen uns auf ein schönes Spiel, das wir hoffentlich gewinnen." Das Thema "Hochrisiko" verstehen sie nicht: "Spiele Dresden gegen Magdeburg sind Hochrisikospiele. Aber doch nicht das in Ingolstadt", sagt Falk. "Okay, es kommen sicher mehr Dynamo-Fans nach Ingolstadt als Arminia-Fans, wenn Ingolstadt gegen Bielefeld spielt. Vielleicht unterschätzt die Polizei auch manchmal die vielen Fans."

Das war gestern auf keinen Fall so. Einsatzfahrzeuge, so weit das Auge reichte. Peter Heigl, Leiter der Polizeiinspektion Ingolstadt, sagte, die Zahl der eingesetzten Beamtinnen und Beamten sei "gut dreistellig". Es seien Einheiten aus Dachau, Eichstätt, Nürnberg und Fürstenfeldbruck da, natürlich auch aus Ingolstadt. "Vor der Saison werden die Spiele kategorisiert und eben auch als ,Hochrisikospiele' eingestuft." Für Heigl besitzen die Dynamo-Fans quantitativ und qualitativ Gewaltpotenzial. Der Polizist betont aber auch, dass in Ingolstadt bisher nichts vorgefallen sei.

"Das nervt schon langsam", sagt Christina aus Dresden. Sie ist mit Sven angereist, wartet auf ihren Neffen, der mit dem Zug aus Bremen kommt. Auch Sven findet die Einstufung als gewaltbereiter Fan als ungerecht: "Ich fahre schon so viele Jahre mit zu den Auswärtsspielen. Passiert ist da noch nie was. Und wenn: Jeder Verein hat doch ein paar Fans, die sich nicht benehmen können."

Die FC-Fans gehen den Dynamo-Fans vor dem Spiel und auch danach notgedrungen aus dem Weg. Im Stadion stehen die harten Anhänger jeweils hinter einem Tor. Die Fangesänge, die an diesem Sonntagnachmittag im FC-Block nie unter die Gürtellinie gehen, übertönen alles im Stadion. Wer ein Tor nicht sieht - hören kann er es nicht, weil der Block euphorisch laut singt und klatscht. Auch der Stadionsprecher Italo Mele ist nicht zu verstehen.

Aber das ist den Fans egal, vielleicht sogar recht. "Na endlich klappt's mal wieder", freut sich Franz aus Ingolstadt. "Ich steh immer hier. Und heute wird es ja mal ein klarer Sieg." Das hoffte er noch beim Stand von 2:0 für die Schanzer in der ersten Halbzeit. Dass es knapp wurde, am Ende aber doch noch zum Sieg reichte, versöhnte ihn: "Sie haben nicht aufgegeben. Das war heute viel besser als in den vergangenen Heimspielen."

Die zwei Anpeitscher für die FC-Fans auf den Stehplätzen singen und rufen sich heiser über 90 Minuten. "Auf geht's schwarz-rote Jungs, schießt ein Tor für uns." "Kommt schon. Es geht noch lauter. Gebt Vollgas", verlangen sie mehr von den Schanzern. "Ich gehöre für immer zu dir" wird dem FC gehuldigt. "Wir sind euer zwölfter Mann." Fast schon wie die Fischerchöre singen die Fans für ihren FC 04. Wenn auch an diesem Tag einige Steh- und viele Sitzplätze frei bleiben. "Unsre Heimat, unsre Liebe, unser Stolz ist Ingolstadt", dröhnt es aus vielen Kehlen. Dazu wird kräftig geklatscht - auch, damit die Hände warm werden (oder bleiben). Die Füße sind auf jeden Fall kalt. "Immer vorwärts FCI, wir wollen dich siegen seh'n, du wirst niemals untergeh'n."

Georg Birkeneder und Franz Achatz sind aus Jetzendorf gekommen. "Wir sind immer wieder da", sagt Birkeneder. Auch wenn der FC zuletzt nicht gut gespielt hat, feuern sie die Schanzer wieder da: "Es muss doch weitergehen." Für Achatz ist Stefan Leitl der Richtige: "Auch wenn die Mannschaft einen Durchhänger hatte, ist Leitl eine gute Lösung. Ich hätte ihn mir schon viel eher als Trainer gewünscht." Klar sind Niederlagen enttäuschend. "Aber die Spieler verlieren doch nicht absichtlich, die sind genauso enttäuscht", sagt Achatz.

"Bei uns ist das immer so: Wenn wir bei einer Mannschaft antreten, die zuletzt schlecht gespielt hat, dienen wir stets als perfekter Aufbaugegner", sagt Sven aus Dresden. "Ich habe geahnt, dass wir heute verlieren." Stefan aus Ingolstadt, der mit drei Freunden ins Stadion gekommen ist, hatte vor dem Spiel auf 2:1 getippt - für Dynamo. "Und wenn es nicht klappt", sagt einer der Freunde, "dann gehen wir zum McDonalds oder trinken ein Bier und fertig." Ludwig kam aus Pfaffenhofen. "Dort wohne ich schon 20 Jahre, bin aber Dynamo-Fan. Wir fahren zu allen Spielen im Umkreis von 200 Kilometern." Und das mit den gewaltbereiten Fans? "Ist total übertrieben", sagt er. "In den jüngsten Auswärtsspielen hat es doch nichts gegeben."

Sven, Dynamo-Fan aus Dresden, war nach dem Spiel natürlich enttäuscht. "Aber deswegen sind wir keine gewaltbereiten Fans. Wir sind vielleicht ein wenig wilder oder verrückter als andere. Aber das ist nicht schlimm." Eine Fanbetreuerin aus Dresden sagt: "Solche Aussagen der Polizei lassen uns kalt." Die Dynamo-Fans reisten mit Autos, Taxis, Bussen und Zügen wieder ab. FC-Fan Roland aus Ingolstadt hat kein Problem mit den Fans aus Dresden: "Wenn das nächste Spiel wieder so ausgeht, dürfen auch doppelt so viele Dynamo-Fans nach Ingolstadt kommen."