Ingolstadt
"Es gibt nichts Wichtigeres als Frieden"

Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, über Napoleons Bedeutung und die Lehren aus seiner Epoche

06.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:34 Uhr

Richard Loibl erklärt im Interview auch, warum Ingolstadt seiner Meinung nach für eine Napoleon-Schau viel besser geeignet ist als für die Landesausstellung zum Reinheitsgebot im nächsten Jahr. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Richard Loibl springt problemlos durch die Epochen. Am Freitagvormittag gab der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte in Nürnberg ein Interview zu Kaiser Karl IV. (1316 – 1378), dann fuhr er nach Ingolstadt, um im Fahnensaal des Neuen Schlosses mit dem DK und DK online über Napoleon zu sprechen. „Da muss ich jetzt nur 500 Jahre vorgehen“, sagt Loibl, promovierter Historiker, 49 Jahre alt, ein heimatliebender Niederbayer. Und schon stürzt er sich wieder in die Wirrnisse der bayerischen Geschichte.

Einige Ingolstädter hadern immer noch damit, dass sie nicht die Landessausstellung zu „500 Jahre Reinheitsgebot“ bekommen haben. Bitte erklären Sie uns Schanzern, wieso Napoleon auch nicht so schlecht ist.

Richard Loibl: Diese Ausstellung hat eine internationale Dimension. Napoleon ist eine Figur der Weltgeschichte. Wir suchen für unsere Landesausstellungen immer den authentischen Ort. Ingolstadt hat für die Napoleonische Zeit große Bedeutung, liegt an einer wichtigen Durchzugsstraße, ist ein historisches Monument. Napoleon lässt die alte Ingolstädter Festung abreißen. Der größte Feind Napoleons in Bayern war der spätere König Ludwig I. – der lässt die Festung wieder aufbauen. Napoleon selbst war im Ingolstädter Schloss zu Gast. Im Bayerischen Armeemuseum hat man eine Wahnsinnssammlung für die Napoleonische Epoche. Hinzu kommt, dass das Neue Schloss ein ganz wichtiges Haus für Bayern ist, und mit der Landesausstellung bringen wir das Schloss und das Armeemuseum endlich wieder in den Fokus! Und es bleibt ein nachhaltiger Effekt wie der Aufzug. Klar, Bier hätte auch jeder gerne gehabt. Man braucht für eine Bierausstellung aber vor Ort eine Brauerei. In Ingolstadt hätte sie in den Hallen im Klenzepark stattgefunden, doch wir können in einer Ausstellung keinen Biergeruch inszenieren. Wenn die Ingolstädter die Ausstellung über Napoleon gesehen haben, werden sie der Bierausstellung keine Träne nachweinen!

 

Die Bayern haben sich schnell auf die Seite Napoleons geschlagen und verdanken ihr Königreich seiner Gnade – ein Zusammenhang, den manch bayerischer Geschichtslehrer vom alten Schlag und königstreuer Patriot gern ausblendet oder zumindest höchst ungern hört. Wie steht das Haus der Bayerischen Geschichte dazu?

Loibl: Ich weiß gar nicht, ob das für einen bayerischen Patrioten ein Problem ist, denn es hätte viel schlimmere Alternativen gegeben, nämlich dass die bayerische Königskrone von einem Österreicher kommt oder – noch schlimmer – von einem Preußen! Da ist Napoleon keine schlechte Wahl gewesen, wie man mit Augenzwinkern, aber auch mit gewisser Ernsthaftigkeit sagen kann. Diese Epoche ist geprägt von den herausragendsten diplomatischen Manövern in der bayerischen Geschichte überhaupt. Bayern hat sich um 1800 in einer kapitalen Notlage befunden, war auf der einen Seite von den Franzosen bedroht und auf der anderen Seite von den Österreichern. Die Österreicher sind 1803/04 ohne Kriegserklärung über die bayerischen Grenzen marschiert, sind vor den Toren und sogar innerhalb Münchens gestanden. Der bayerische Kurfürst Max Joseph und sein Minister Montgelas haben taktisch sehr klug variiert und geschaut: Auf welcher Seite können wir das Beste für uns und unser Land herausholen? Genau im richtigen Moment, zur richtigen Minute hat man das Bündnis gewechselt und ist das Bündnis mit Napoleon eingegangen.

 

Der Einfluss Napoleons auf die Formierung des modernen Bayerns war enorm. Was waren die bedeutendsten Entwicklungen?

Loibl: Das Bündnis mit Napoleon hat dem Haus Wittelsbach die Königskrone eingebracht. Es hat den territorialen Umfang Bayerns für die Zukunft festgelegt. Damals sind die schwäbischen und fränkischen Gebiete dazugekommen. Und das Allerwichtigste: Nach französischem Muster sind die moderne Staatsverwaltung und eine der fortschrittlichsten Verfassungen Europas eingeführt worden. Diese Verbindung von Tradition und Moderne wirkt bis heute nach.

 

Was lehrt Napoleons Wirken und Wüten in der Gegenwart?

Loibl: Als wir dieses Thema angegangen sind, haben wir natürlich nicht gedacht, dass es im Europa der Gegenwart im Anfangsstadium Parallelen zu damals gibt. Wir wollen hoffen, dass es nicht so weit kommt. Die Lehre aus der Napoleonischen Zeit lautet: Es gibt nichts Wichtigeres als Frieden. Das ist ein zentraler Aspekt in der Ausstellung. Die Napoleonische Ära bedeutet für Bayern einen ungeheuren Blutzoll! Wenn man das so aufrechnet, könnte der Blutzoll höher gewesen sein als im Ersten Weltkrieg. Die Ausstellung zeigt viele Beispiele für Schicksale, etwa den dramatischen Kirchenbucheintrag einer Frau, die zuerst von einem Franzosen vergewaltigt worden ist, schwanger wurde, und ein, zwei Jahre später von einem österreichischen Soldaten vergewaltigt wurde. Es hat aber auch Licht gegeben, etwa die nicht sehr freiwillige Verheiratung der bayerischen Prinzessin Amalie mit Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais – einem Emporkömmling. Das war der Preis für die Königskrone. Aber wie das Leben so spielt, ist eine große Liebe draus entstanden. Das ist „Krieg und Frieden“ in Bayern, wie es Tolstoi für Russland geschrieben hat.

 

Das Gespräch führten Bernd Limmer und Christian Silvester.