Ingolstadt
Erzieherinnen – verzweifelt gesucht

Die Bildungsreformen bringen auch die Ingolstädter Kindergärten an ihre Grenzen

21.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:57 Uhr

Polonaise beim Morgenkreis: Nicht nur in der Kindertagesstätte »Am Eichenwald« in Gerolfing werden die Kinder vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag betreut - für die Erzieherinnen, die nebenher viel Verwaltungsarbeit zu leisten haben, bedeutet das oft Stress. Hinzu kommt, dass wegen des Krippenausbaus vielerorts Personal und Platz fehlen - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) 2008 beschloss der Bund den flächendeckenden Ausbau der Kinderkrippenplätze – und die Länder und Kommunen haben darauf in Rekordzeit reagiert. Allerdings ist dabei einiges auf der Strecke geblieben, wie Ingolstädter Erzieherinnen klagen – und die Stadt gibt ihnen recht.

Um 7 Uhr kommen die ersten Kinder in den städtischen Kindergarten „Am Eichenwald“ in Gerolfing, gegen 8.30 Uhr die letzten – je nachdem, welche Zeit ihre Eltern gebucht haben. Die nächsten Stunden über sind die Kinder in der Obhut der Erzieherinnen, viele bleiben lang, denn oft arbeiten beide Elternteile. Sie feilen an gemeinsamen Projekten, sie kochen, basteln und bauen. Sie essen, schlafen und toben sich im Freien aus. Erst um 17.30 Uhr schließen Kindergarten und Kinderkrippe.

„Ich habe damals in meiner Ausbildung gelernt, wir sind familienergänzend, aber mittlerweile bekommt man das Gefühl, wir sind familienersetzend“, sagt Christina Willison, Leiterin der Einrichtung. Was heute Kindergärten und Kinderkrippen zu leisten haben, das regelt der „Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung“ – und das ist viel: Inzwischen sollen die Schließtage so selten und die Öffnungszeiten so oft wie möglich sein. Dazu kommt ein nahezu vollumfassender Bildungsauftrag: Die Kinder sollen mit Freude lernen und forschen, über gesunde Ernährung informiert werden, sich viel bewegen – und das Ganze in einer anregenden Umgebung. Jedes Elterngespräch muss protokolliert werden, das Gesetz verlangt Hygieneplan, Spielstättenkontrollen, und dann müssen ja noch täglich die Anwesenheitszeiten der Kinder verwaltet werden. Früher hatte der Kindergarten auch nur bis 12 Uhr geöffnet – so konnten die Erzieherinnen am Nachmittag in Ruhe den nächsten Tag vorbereiten. So aber hetzen sie oft durch den Alltag, denn das Personal ist nicht aufgestockt worden. Der Betreuungsschlüssel in Ingolstadt beträgt 1:10, also pro zehn Kindern ein Erzieher. „Das ist sehr, sehr gut“, sagt Christina Willison. „Aber nicht real.“ Denn durch Urlaub, Krankheit oder Fortbildungen sind in der Regel deutlich weniger Erzieher in der Einrichtung. „Und eine Mitarbeiterin, die uns im Sommer verlassen hat, steht immer noch bei uns im Schlüssel drin“, klagt Christina Braun, die Leiterin der angeschlossenen Kinderkrippe. „Sorgloses Arbeiten mit den Kindern ist nicht mehr möglich“, sagt Christina Willison.

Die Stadtratsfraktion der Grünen fordert eine „Qualitätsoffensive“ mit mehr Personal und besserer Ausstattung in allen Ingolstädter Einrichtungen. Als ersten konkreten Schritt hat sie eine freiwillige Zulage von 150 bis 200 Euro für die Erzieherinnen in städtischen Kindertageseinrichtungen beantragt. „Die Stadt hat eine Vorbildfunktion“, erklärt Stadträtin Barbara Leininger. Und immer noch sei Erzieherin überwiegend ein Zuverdienstberuf.

Die Stadt müsse auch begreifen, dass sie mit den privaten Trägern ums beste Personal konkurriere, sagt Jürgen Siebicke (Die Linke). Sie könne zumindest einmal Sekretärinnen einstellen, die den Erzieherinnen die Verwaltungsarbeit abnehmen. Nach der Finanzausschusssitzung am Donnerstag (wir berichteten) sieht es allerdings nicht so aus, als würde es mehr Geld für die Kindergärten geben.

Und selbst wenn mehr Personal bewilligt würde, wäre es nicht sicher, dass die Stellen derzeit besetzt werden könnten, erklärt Jugendamtsleiter Maro Karmann. „Im Moment ist es schwierig, Fachkräfte zu kriegen.“ Denn durch den immens schnellen Ausbau der Krippen sei der Arbeitsmarkt wie leer gefegt. Aber Karmann ist zuversichtlich: „Das ist ein Beruf, in dem wenige in Rente gehen, und der Nachwuchs kommt schon.“ Auch die Aufgabenfülle der Erzieherinnen werde man angehen: Im Februar gebe es einen Termin im Ministerium. Karmann: „Die sehen das auch, dass es zu viel Verwaltungsaufwand ist.“ Und bei den Öffnungszeiten müsse man schauen, ob man sie weiter ausdehnen möchte oder ob man nicht vielmehr auch die Betriebe in die Pflicht nehmen sollte, die den Eltern flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen könnten. Karmann: „Wir müssen mehr vom Kind aus denken.“

„Der Auftrag war ja, den Bedarf für Kinder von null bis zehn zu decken“, sagt Bildungsreferent Gabriel Engert. Das habe die Stadt umgesetzt. „Und jetzt können wir die Qualitätsfrage stellen.“ Aber die Eltern könnten auch jetzt schon guten Gewissens ihre Kinder in die Obhut der Ingolstädter Einrichtungen geben: „Da wird gute Arbeit geleistet“, sagt Engert. Das bewiesen auch die Ergebnisse der anonymen Elternbefragung – und nicht nur die: „Ich habe meine Kinder selbst hier gehabt“, sagt Engert.