Ingolstadt
Einsatz gegen die Einsamkeit

Nette Nachbarn im Piusviertel: Ehrenamtliche unterstützen Senioren

20.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:58 Uhr

Ingolstadt (DK) Vor sechs Jahren haben sie bescheiden angefangen, heute ist die Nachbarschaftshilfe im Piusviertel eine Institution: 20 Ehrenamtliche unterstützen Senioren im Alltag. Sie erledigen Einkäufe, lesen die Zeitung vor oder kommen zum Ratschen. „Denn die Einsamkeit darf man nicht unterschätzen!“

Seit sie einen Rollator benötigt, kann Elfriede Reibold eindringlich davon erzählen, wie sehr sich ein Einkauf hinziehen kann und wie viel Kraft es kostet, selbst wenn der Supermarkt nur wenige Straßen entfernt ist. Aber die 86-Jährige hat meistens eine starke Stütze an ihrer Seite: „Frau Roswitha hilft mir! Gott sei Dank.“ Elfriede Reibold war nie verheiratet und hat keine Kinder. Deshalb freut sie sich um so mehr über die Besuche ihrer netten Nachbarin im Piusviertel. „Frau Roswitha“ berät sie auch bei organisatorischen Fragen des Alltags, sieht nach dem Rechten oder kommt auch vorbei, wenn es nichts zu helfen gibt. Dann ratschen die zwei bei Kaffee und Kuchen.

„Ich mache das sehr gern! Es passt wunderbar“, erzählt Roswitha Seyberth, die sich seit fünf Jahren für das Projekt „Nette Nachbarn im Piusviertel“ engagiert. „Da haben sich auch schon Freundschaften entwickelt.“ Sie hält den Zeitaufwand für völlig angemessen: „Jeder hat mal eine Stunde Zeit. Außerdem ist es ein Geben und Nehmen.“ Und man dürfe nicht vergessen: „Wir werden auch mal alt.“

Jutta Mosandl hilft seit sechs Jahren mit. Damals hatte ihr Arbeitgeber Insolvenz angemeldet, und sie stand auf der Straße. Die Schanzerin nahm zwar Kurzzeitjobs an, wollte aber unbedingt zusätzlich „auch noch etwas Sinnvolles tun“. Sie stieß auf die Nachbarschaftshilfe – und blieb gerne. Derzeit betreut sie eine 83-Jährige, die schwer hört und kaum noch aus dem Haus kommt. Jutta Mosandl liest ihr aus der Zeitung vor, erledigt die Einkäufe oder schaut einfach so mal vorbei. „Ich bin gern unter Menschen!“ Das sei wichtig für diese Tätigkeit. „Man muss auf die Leute zugehen können und Vertrauen aufbauen, denn sonst funktioniert es nicht.“

Monika Stroetges hat das Projekt mit aufgebaut, „weil wir vor sechs Jahren festgestellt haben, dass es dafür einen großen Bedarf gibt“. Stichworte Anonymität in der Großstadt und Einsamkeit im Alter. „Anfangs war es schwer, Helfer zu finden“, erzählt sie, aber mit der Beliebtheit des Angebots stieg die Zahl der Ehrenamtlichen. Derzeit sind es 20. Jeder betreut in der Regel einen Mitbürger. „Die Einsamkeit darf man nicht unterschätzen!“, betont Stroetges, zumal die Familien „manchmal zurückhaltend sind, wenn es um die Betreuung älterer Angehöriger geht“, wie sie ein verbreitetes Phänomen diplomatisch beschreibt. Roswitha Seyberth stellt mit deutlichen Worten fest: „Nicht in jeder Familie kann man sich auf die Kinder verlassen.“ Auch diese Erfahrung hat sie als Nachbarschaftshelferin schon einmal machen müssen. Wenn sich die Söhne und Töchter eher selten bei ihren betagten Eltern sehen lassen (oft ein Quell zäher Geschwisterkonflikte), braucht es um so mehr nette Nachbarn, die Aufmerksamkeit schenken.

Eines erklärt Monika Stroetges in aller Deutlichkeit: „Unsere Helfer putzen nicht. Dafür gibt es eigene Kräfte. Und wir übernehmen auch keine Pflegedienste, weil man dafür eine Ausbildung braucht.“ Die Pflege sei ja schließlich ein eigenes Berufsfeld. Das Spektrum der freiwilligen Helfer ist dennoch ein breites: „Wir begleiten Betreute auch zur Tafel, führen ihre Hunde aus oder beraten bei Versicherungsfragen.“ Was gesetzliche Ansprüche und staatliche Versorgungsleistungen betrifft, reicht sie an die Fachstellen weiter. „Wir kümmern uns auch, wenn wir jemanden mal nicht erreichen können. Wir sind immer aufmerksam.“

Um die netten Nachbarn bekannter zu machen, wurden im Piusviertel jetzt 3600 Briefe an die 50- bis 70-jährigen Bewohner verschickt. Auch die Fortbildung der Helfer ist Teil des Projekts. So gibt es etwa Schulungen zu den Krankheiten Alzheimer und Demenz.

Monika Stroetges weiß aus Erfahrung, dass viele Senioren, die der Unterstützung bedürfen, „sich nicht trauen oder zu stolz sind, um das Angebot anzunehmen“. An deren Adresse richtet sie einen Appell: „Man kann mit allen Problemen zu uns kommen. Denn wir versuchen, jedem gerecht zu werden.“