Ingolstadt
Einfach kein Platz für zwei Seelen in der Brust

Ingolstädter Löwen-Fans vor dem heutigen Derby im Audi-Sportpark: Einmal Sechzger, immer Sechzger

01.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr

Gelöste Stimmung beim Löwen-Stammtisch im Gasthaus Mittl: Thomas Prott aus Neuburg, der hier das Vereinsemblem hochhält, hat die Runde vor über 20 Jahren ins Leben gerufen - Foto: Heimerl

Ingolstadt (DK) Es wird schwer werden. Es ist in dieser Saison meistens schwer gewesen. „Es bleibt Abstiegskampf – bis zum Schluss“, sagt Dieter Brummer. Der Oberstimmer schwankt zwischen Fatalismus und Zweckoptimismus, lächelt und sagt dann fast etwas trotzig: „Ja, ich glaub’, dass wir sie 2:1 schlagen können.“

„Wir“, das sind die Löwen. Die Münchner Löwen. Und „sie“, das sind die Schanzer, die vom FC Ingolstadt 04, die heute Abend die Elf des Traditionsvereins aus der Landeshauptstadt im Audi-Sportpark empfangen werden. Der Zweitliga-Spitzenreiter und Aufstiegsaspirant gegen die wieder mal hinter den eigenen Erwartungen zurückgebliebenen „Sechz- ger“, die vor der Partie auf Platz 15 und damit an der Abbruchkante zur dritten Liga stehen.

Freitagabend beim Mittl in Ringsee. Der Tisch direkt links beim Eingang ist dicht besetzt, die zu spät Gekommenen stehen, die Arme und die Halbe auf eine kleine Trennwand gestützt, dahinter. Es ist fast wie im Stadion. Sitzplätze und Stehränge halt. Nur dass es hier keinen Preisunterschied gibt. Beim Ingolstädter „Sechzger“-Stammtisch wird rolliert. Es ist ein Kommen und Gehen; wenn ein Platz direkt am Tisch frei wird, rückt der Nächste von den Rängen nach. Notfalls steht man auch den ganzen Abend. Das macht dann auch nichts.

Alle Mitglieder, etwa 20, so heißt es, sind aber ohnehin nie da. An diesem Freitag vor dem oberbayerischen Zweitliga-Derby sind es in der Spitze ein knappes Dutzend Männer zwischen 30 und knapp 60 Jahren, die sich hier alles von der Seele reden können, was sie bewegt – auch abseits des Fußballs. Doch im Kern geht es immer wieder um das Eine: Die Löwen, ihre ständigen Eskapaden (vor allem im Vorstand und in der sportlichen Leitung), ihre Geldnot, ihren irgendwie transzendenten jordanischen Investor, ihren Hang zum Scheitern – und ihre Tradition.

Löwenfans müssen leidensfähig sein, ähnlich wie die vom Club in Nürnberg, wo auch immer wieder alles anders kommt als gedacht. Löwenfans haben ein großes Herz und meistens zwei Lieblingsvereine: ihren eigenen und den, der gerade gegen die Bayern spielt, wie Dieter Brummer es so schön auf den Punkt bringt. Denn die anderen Kicker aus München, die auf dicken Geldsäcken gebetteten „Roten“, wie sie bei den Sechzigern eigentlich nur genannt werden, sind der krasse Gegenentwurf zu den Löwen. Es ist wie mit Donald Duck und Mickey Mouse. Mann kann einfach nicht beide mögen.

Doch müssten sich die Ingolstädter Anhänger der „Blauen“ an diesem Wochenende bzw. zum heutigen Wochenbeginn nicht doch mal ein wenig mehr mit einem anderen Zwist beschäftigen? Mit dem Kampf zwischen ihrer ewigen und einzigen Fußball-Liebe und ihrer Heimatverbundenheit vielleicht? „Kein Thema!“, schallt es aus der Runde. Wenn sie heute Abend im Audi-Sportpark versammelt sind, so wird beteuert, kann, darf und wird es keine Doppelmoral geben. „Einmal Sechzger, immer Sechzger“, heißt es da unerschütterlich. Und für eine Änderung dieser Haltung, da ist man sich durchweg sicher, gibt es auch überhaupt keinen Grund, selbst wenn die Schanzer in ein paar Monaten in der Bundesliga und die Löwen in der dritten Liga kicken sollten.

„Das ist doch so ein Plastikverein wie Wolfsburg oder Hoffenheim“, sagt Thomas Prott über den FCI und erntet Kopfnicken bei seinen Stammtischfreunden. Der Neuburger hat diese Runde irgendwann Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre zusammengeführt und ist der heimliche Vorsitzende geblieben. Bei ihm daheim in Neuburg mag er sich nicht dem örtlichen Fanclub anschließen. Die seien ihm etwas zu unkritisch mit dem eigenen Verein, einfach etwas zu ergeben, verdeutlicht er. Es gebe eben auch bei den Löwenanhängern solche und solche. Da schätzt der Mann aus der Nachbarstadt doch lieber die Gesellschaft der Ingolstädter Stammtischrunde – auch wenn er dort mit Blick aufs unvermeidliche Autofahren dann meistens nur Cola trinken kann.

Thomas Prott will den FC 04 gar nicht schlecht reden – dafür sieht in dieser Runde echter Fußballkenner überhaupt niemand Veranlassung. Aber mit Herzblut kann hier eben keiner bei den Schwarz-Roten sein, die ihren schnellen Erfolg, das wissen eh alle, neben einer fraglos professionellen Führung mit beständiger Aufbauarbeit vor allem dem Geld des Hauptsponsors zu verdanken haben. „Ein Bundesligist, der es nicht schafft, bei seinen Heimspielen regelmäßig mindestens 10 000 echte Anhänger zu mobilisieren“, verdeutlicht Prott seine Meinung, könne kaum von Fankultur sprechen. Das werde in Ingolstadt eben alles noch eine gute Weile brauchen – Aufstieg hin oder her.

Da halten es die Männer vom Mittl-Stammtisch doch lieber mit ihren Löwen. Mit denen können sie im nächsten Jahr dann frisch und frei das 50-Jahre-Jubiläum der einzigen Deutschen Meisterschaft begießen. Das kann ihnen keiner nehmen. Und ob die mit Firmengeldern flottgemachten Vereine aus Hoffenheim, Leverkusen und eben auch Ingolstadt das jemals können werden, muss sich erst noch zeigen. Nur Wolfsburg kann da schon mithalten. Und von den Münchner Bayern, denen man ihre Vereinstradition und die Aura des Rekordmeisters sicher nicht absprechen kann und will, redet in dieser Runde ohnehin keiner mehr als unbedingt nötig. Die, so heißt es, sind mit ihrem in aller Regel eingehaltenen Drei-Punkte-Abonnement inzwischen nur noch eines: langweilig.