Ingolstadt
"Eine unglaublich engagierte Arbeit"

Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, besuchte gestern den Jugendmigrationsdienst

04.04.2016 | Stand 02.12.2020, 20:00 Uhr

Fester Tagesablauf: Ein Wochenplan, mit Symbolen versehen, zeigt auf, wie und wann sich die Bewohner des Hollerhauses in die alltäglichen Pflichten einbringen. Geschäftsführer Reinhard Mußemann erläutert Petra Pau einige Beispiele. - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Um sich einen Eindruck vom Stand der Entwicklung der Integration behinderter und geflüchteter Menschen in den gesellschaftlichen und sozialen Alltag zu verschaffen, besuchte gestern die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, Ingolstadt.

Pau, die auch Abgeordnete der Linken im Bundestag ist, besichtigte am Nachmittag in Begleitung ihrer Abgeordnetenkollegin aus Ingolstadt, Eva Bulling-Schröter, das Hollerhaus. Anschließend nahm sie einen Gesprächstermin beim Jugendmigrationsdienst wahr.

"Es wird eine unglaublich engagierte Arbeit hier in Ingolstadt gemacht. Sowohl von haupt- als auch ehrenamtlichen Mitarbeitern", lautete anschließend ihr erstes Fazit im Gespräch mit unserer Zeitung. Unter dem Strich sei das erst einmal positiv. Es hätten sich bei ihr jedoch auch ganz deutlich die "Risiken und Nebenwirkungen der Bundespolitik" gezeigt, so Pau weiter. Vor allem, was das Thema Migration von Ausländern und Asylbewerbern angehe. "Wenn wir das schaffen wollen, wovon ich, wie die Bundeskanzlerin, fest überzeugt bin, dann heißt das auch, dass man den Ländern und Kommunen und insbesondere den Initiativen vor Ort die Mittel an die Hand geben und bürokratische Hürden abbauen muss", sagte sie und plädierte für eine funktionierende Daseinsvorsorge sowohl für neu angekommene als auch für bereits länger hier lebende Menschen.

Hintergrund der Kritik war eine Äußerung des evangelischen Aussiedlerpfarrers Helmut Küstenmacher, der den Jugendmigrationsdienst in Ingolstadt mitaufgebaut hat. Der Geistliche beklagte im Gespräch mit dem Besuch aus Berlin, dass es einen "ständigen Kampf" um finanzielle Mittel gebe. Der soziale Dienst müsse sogar in Vorleistung gehen und habe sich - zur Aufrechterhaltung der Arbeit bei gestiegenen Beratungszahlen - zinslos Geld geliehen. Für 2016 seien noch keine Bundeszuschüsse geflossen, so Küstenmacher. Hinzu komme die wegen des VW-Abgas-Skandals verhängte Haushaltssperre der Stadt in Höhe von 15 Prozent, die auch den Etat des Jugendmigrationsdienstes betrifft.

Aufhorchen ließ Pau und Bulling-Schröter auch die Feststellung, dass ein Asylbewerber oder Spätaussiedler bis zu 19 behördliche Stellen durchlaufen müsse, "bis er als Mensch dazugehört", so Küstenmacher. Diese Arbeit könne von den Beratern alleine nicht mehr geleistet werden. "Alles platzt aus den Nähten", sagte Küstenmacher. Pau, die das Problem auch von anderen Orten kenne, wie sie feststellte, und Bulling-Schröter versprachen, bei den entsprechenden Stellen der Bundesregierung nachzufragen, ob es eine Lösung gebe.

Im Hollerhaus, einem Betreuungsangebot für körper- und mehrfach behinderte Menschen, führte Geschäftsführer Reinhard Mußemann Petra Pau durch eine Fördergruppe und eine Wohngruppe und erläuterte die Entwicklungsgeschichte der seinerzeit ersten Einrichtung dieser Art in Bayern, wie er sagte. Schwerpunkt sei es, den Menschen hier "ein Leben so gut wie möglich an der Realität zu ermöglichen", hieß es seitens der Betreuer. Dazu gehöre es auch, Arbeiten wie die in der Kerzenwerkstatt zu ermöglichen, bei denen "auch die Schwächsten mitmachen können". Dies schaffe bei den Behinderten Selbstbewusstsein. Einer der wesentlichsten Gründe, um die es hier gehe, so Mußemann. Er beklagte aber auch, dass es "unglaublich schwierig" sei, junge Flüchtlinge als Praktikanten ins Hollerhaus zu holen, obwohl diese teilweise daran interessiert seien. Derzeit sind dort fünf beschäftigt. Am Abend hielt Pau noch eine Lesung aus ihrem Buch "Gottlose Type - Meine unfrisierten Erinnerungen" ab.