Ingolstadt
Eine Kuppel vor dem Herrn

Symbol der Moderne und des Aufbruchs: Vor 60 Jahren wurde der Grundstein der Piuskirche gelegt

22.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Am Trinitatis 1957 wurde der Grundstein von St. Pius gelegt. Die Kirche, ein Werk des Architekten Josef Elfinger, beeindruckte mit einer modernen, damals sehr kühnen Formensprache. Auf dem Pfarrfest von St. Pius am Sonntag wird an das Jubiläum erinnert.

Der Bedeutung des Ereignisses angemessen, schickte das Bistum Eichstätt seinen zweitbesten Mann: Dompropst Prof. Dr. Ludwig Bruggaier beehrte am Sonntag, den 16. Juni 1957, passenderweise der Tag der heiligen Dreifaltigkeit (Trinitatis), die Grundsteinlegung einer Kirche im Norden von Ingolstadt, die dem heiligen Pius geweiht werden sollte.

Die war indes nicht auf einem Felsen gebaut, sondern auf einer Wiese. Viel Wiese. Mit wenig drauf und drum herum. Der Herr Pfarrer stellte seine Füße sozusagen - um es mit Psalm 31 zu sagen - auf weiten Raum. Zwei Kirchturmlängen entfernt reihten sich Siedlerhäuschen aneinander, vereinzelt ragten moderne Wohnblöcke auf, die von noch Größerem kündeten, das bald kommen sollte. Denn die kleine Arbeiter-, Bauern- und Soldatenstadt schickte sich an, zu wachsen - und zwar ziemlich kräftig. Hier in der Peripherie entstand eine Mustersiedlung für die Helden des Ingolstädter Wirtschaftswunders: Die Facharbeiter von Schubsa und Despag trieben den Aufschwung voran (die Auto-Union noch nicht so), im Osten der Stadt würden bald drei Raffinerien den Wohlstand nähren. Und nun bekam die neue Heimat vieler Kollegen auch noch ein Gotteshaus auf der Höhe der Zeit! Sie gab der Siedlung ihren Namen. Piusviertel.

Die Kirche war die elfte der damals rund 40 000 Ingolstädter Katholiken - bei fast 50 000 Einwohnern insgesamt. Aus römischer Sicht war die Welt also noch in Ordnung; heute liegt der Anteil der Katholiken in Ingolstadt unter 50 Prozent.

Der zu erschaffende Sakralbau, ein Werk des Architekten Josef Elfinger und des Statikers Karl Sailer, sollte mit einer modernen Betonkuppel den Himmel grüßen. Aber von dieser - weiß Gott - spektakulären Formensprache war noch nichts zu erahnen, als der Dompropst mit großem Gefolge, besungen vom Redemptoristen-Chor, über die Wiese zum Grundstein schritt. Daneben ragte das Fundament des Altars aus der Erde, gegenüber parkte ein Baukran. "Lautsprecher übertrugen Ansprache, Gebete und Gesänge hinüber zu den Wohnblöcken, wo im Schatten der Häuser, an Fenstern und Balkonen, Hunderte der Weihehandlung folgten", meldete, tief beeindruckt, der DONAUKURIER.

Bruggaier, ein Sohn der Stadt, wusste um die infrastrukturelle Bedeutung der entstehenden, achten Ingolstädter Pfarrei und arbeitete in seiner Predigt den Zusammenhang zwischen Heimat im Glauben und sozialem Wohnungsbau sauber heraus. Was zu errichten sei wichtiger? Kirchen oder Häuser? Niemand könne der Kirche Roms nachsagen, sie fördere den Wohnungsbau nicht, sprach Bruggaier. In allen Diözesen gebe es "bedeutende katholische Baugenossenschaften". Jedoch: "Wenn nicht Christus Herr in der Wohnung ist, wenn nicht Frieden und Eintracht darin herrschen, dann kann die schönste Wohnung zur Hölle werden!" Der Geistliche erkannte in dem Gotteshaus gar ein "Denkmal des Papsttums", weil viele große Päpste mit Namen Pius (deren zwölf) "durch ihre hervorragenden Verdienste für die katholische Menschheit" (wörtlich!) "zum Symbol des Papsttums geworden sind".

Dann verlas Bruggaier eine Urkunde, die der Nachwelt vom Zeitgeschehen anno 1957, der Zusammensetzung der Ingolstädter Stadtverwaltung und der Bundesregierung (der Bundeskanzler war gottlob katholisch) sowie der "schmerzlichen Teilung Deutschlands" erzählen sollte. Er verschloss das Dokument zusammen mit einer Ausgabe des DK vom 15. Juni, einem Prospekt der Stadt Ingolstadt, einem Bild von Papst Pius X., einigen Münzen und Segenswünschen in einer Kupferkassette, die im Fundament versenkt wurde. "Der Grundstein sei nicht nur für eine Kirche aus Stein und Beton gelegt, sondern auch für den geistigen Aufbau der neuen Gemeinde!" Darauf den Hammer.

Zur Einweihung am 31. August 1958 kam das Oberhaupt der Diözese Eichstätt: Bischof Joseph Schröffer. "Es schien, als seien alle fünftausend Gläubigen der neuen Pfarrei St. Pius aufgebrochen, um am geistlichen Leben ihrer Gemeinde gleich von allem Anfang an teilzunehmen", meldete - ehrlich bewegt - der DK.

Mit dem futuristisch anmutenden Rundbau, der sich dank der Kuppel nach antikem Vorbild schon etwas der Postmoderne zuneigt, hatten die Bauherren großen Mut bewiesen; ob ein derart innovatives Gebäude in Ingolstadt heute noch möglich wäre, weiß Gott allein.

Die Kuppel besteht aus 40 Betonrippen, jede ist 130 Zentner schwer. "Leichtbeton- und Kupferplatten als Außenhaut ergänzen die Rippen zu einer Kuppel von exakter Halbkugelform", die aufgesetzten Fenster "fassen sie wie eine Krone ein", schrieb Rudolf Koller 1960 in seiner Stadtchronik.

Ingolstadts Kulturreferent (er lebte von 1919 bis 2002) war ein gelehrter, kunstsinniger und aufgeschlossener Mann. Mit St. Pius jedoch fremdelte er arg. Es sei ein "eigenwilliger Kirchenbau" entstanden, bekannte er. Das war fast schon ketzerisch!