Ingolstadt
Eine Frage der Schuldfähigkeit

Heute beginnt der Landgerichtsprozess zu dem tödlichen Streit im Obdachlosenmilieu vor einem Jahr

16.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:14 Uhr

Spurensuche an der Alban-Berg-Straße: Nach schnellen Ermittlungen nahm die Polizei innerhalb weniger Tage einen Tatverdächtigen fest. Der 19-Jährige, der damals keinen festen Wohnsitz hatte, soll hier einen ebenfalls obdachlosen 33-Jährigen getötet haben. Arch - foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Der blutige Spätsommer und Herbst 2013 haben sich in den Köpfen der Ingolstädter fest verankert. Die Fälle kommen nun vor das Landgericht: Ab nächster Woche muss sich der Geiselnehmer aus dem Rathaus verantworten, ab heute der 19-Jährige, der mutmaßlich einen Obdachlosen tötete.

Keinen Monat nach dem zwar blutig, aber dennoch glimpflich zu Ende gegangenen Geiseldrama war er der erste Tote aus der beispiellosen Serie mit Gewaltdelikten in Ingolstadt: der 33-jährige Hans-Jürgen B., der in der Nacht zum 10. September 2013 von einer Spaziergängerin leblos auf einem Rasen an der Alban-Berg-Straße im Piusviertel entdeckt worden ist. Wie sich schnell herausstellte, war er das Opfer eines Verbrechens geworden. Sein Tod war grausam: Er soll, wie es das Landgericht in seiner Prozessvorschau zusammengefasst hat, „an einer Zertrümmerung des Nasen-Mundbereichs durch das Einatmen von Blut“ gestorben sein. Davor hatte der 33-Jährige nach Aussage des Gerichts „mit einer verschlossenen Bierflasche einen wuchtigen Schlag“ versetzt und danach mehrere Tritte gegen den Kopf bekommen haben. Diese Taten werden einem 19-jährigen, gebürtigen Eichstätter vorgeworfen, der ab heute (Beginn 9 Uhr) die zentrale Figur in dem Prozess vor der 1. Jugendkammer des Landgerichts ist. Die Kammer unter Vorsitz der Landgerichtspräsidentin Sibylle Dworazik wird tief in das Seelenleben des jungen Mannes blicken, denn der zentrale Punkt des Prozesses ist die Frage der Schuldfähigkeit. Wie selbst die Ingolstädter Staatsanwaltschaft annimmt, war er tatsächlich zum Zeitpunkt des Übergriffs schuldunfähig. Die schweren Probleme des 19-Jährigen „liegen in der Persönlichkeit“, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter vor einiger Zeit. Seine Anklagebehörde beantragte die dauerhafte Unterbringung des 19-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Vorläufig ist der junge Mann bereits in der Isar-Amper-Klinik in Haar untergebracht. Verteidiger Wolfgang Weiss (Ingolstadt) hat ihn dort vergangene Woche besucht, um ihn auf das anstehende Marathonverfahren vorzubereiten: Sechs lange Prozesstage stehen ab heute an. Ob sich der 19-Jährige zu den Vorwürfen äußern wird, ist unklar. Das Urteil wird für den 13. Oktober erwartet. Dort dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit die Einweisung in die Psychiatrie warten. Entsprechende fachärztliche Gutachten liegen dem Gericht vor.

Bis dahin wird die Kammer aber detailliert ergründen wollen, wie es zu dem blutigen Angriff mitten in der Nacht gekommen ist. Die beiden Männer mit dem deutlichen Altersunterschied sind dem Obdachlosenmilieu zuzurechnen. Sie sollen nach einer gemeinsamen Zechtour in den frühen Morgenstunden in Streit geraten sein, der tödlich endete. Die Anklage lautet auf Totschlag durch Unterlassen, weil der junge Mann den 33-Jährigen nach seinem mutmaßlichen Angriff einfach seinem Schicksal überlassen hat.