Ingolstadt
Ein neuer Blick auf die Schanz

Die Stadtmauer als Forschungsobjekt: Angehende Architekten haben ein Modell im Maßstab 1:500 erarbeitet

29.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:02 Uhr

Ein Modell Ingolstadts mit der herausgearbeiteten Stadtmauer, das von angehenden Architekten der TU München erarbeitet wurde. Mit dabei Matthias Schickel (links), Vorsitzender des Historischen Vereins, und der Archäologe Gerd Riedel. - Foto: Pehl

Ingolstadt / München (DK) Groß ist es geworden, das Modell der Stadt Ingolstadt, das Architekturstudenten der TU München erarbeitet haben. Und sehr informativ obendrein - obwohl nur die Stadtmauer dreidimensional ausgebildet ist. Doch gerade das eröffnet einen ganz anderen Blick auf die Schanz.

Je länger man hinschaut, desto mehr fallen einem die freien Flächen im Stadtgebiet auf, die Lücken in der Stadtmauer, die Achsen und Beziehungen. Sieben angehende Architekten am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren von Prof. Florian Nagler an der TU München haben im Rahmen ihrer Masterarbeit dieses Ingolstadt-Modell im Maßstab 1:500 geschaffen. Dies ist der erste Schritt im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des 100-Türme-Projekts von OB Christian Lösel.

"Wir sind in Ingolstadt rumgelaufen und haben auch mit den Hauseigentümern an der Stadtmauer gesprochen. Die Leute waren sehr interessiert", erzählen die TU-Studierenden, allesamt keine Ingolstädter. Sie haben außerdem Pläne studiert, sich durch jede Menge Literatur durchgearbeitet, alte Fotos angeschaut und mit den Experten der Stadt geredet. Am Ende dieser Stoffsammlung stand schließlich das Ingolstadt-Modell.

Doch damit fängt für die Studierenden die eigentliche Arbeit erst an. Ihre Aufgabe ist es, Konzepte für die Stadtmauer zu erstellen. "Das ist ein ziemlich komplexes Thema. Sehr offen, aber auch sehr spannend", sagt die Gruppe. Es geht ihnen jedoch nicht um konkrete Projekte, was man mit der Stadtmauer alles machen könnte, sondern mehr um "Ideen und Input", um Städtebau und mögliche Nutzungen. Sie stehen hier noch ganz am Anfang. Nur zwei Dinge haben sich schon abgezeichnet: Durch die Privatisierung der Stadtmauer hat sich nicht nur ziemlich viel erhalten, es kam auch zu einer gewissen Individualisierung.

Auch Prof. Nagler betont den ergebnisoffenen Prozess. "Es gibt viele Wege", sagt der gelernte Zimmermann. Ziel sei es ganz generell, die "Stadtmauer zu stärken". Nagler plädiert für einen "behutsamen und vernünftigen Umgang". Jeder der Studierenden wird sich dazu seine eigenen Gedanken machen. Die vom OB ins Gespräch gebrachte Wiederherstellung von Zinnen an einzelnen Häusern könne durchaus ein Thema sein, müsse aber nicht. Einen allgemeinen Rückbau sieht Nagler dagegen eher nicht. Denn dann müsste man sich zuerst auf eine Zeit festlegen.

"Die Mauer hat fast 600 Jahre gelebt", betont Matthias Schickel, der Vorsitzende des Historischen Vereins. Sie war und ist einer Entwicklung unterworfen, was einen ahistorischen Ansatz ausschließe. Der städtische Archäologe Gerd Riedel weist wie Nagler darauf hin, dass die Stadtmauer nicht isoliert, sondern nur im Kontext der übrigen Bebauung und in der Wechselwirkung mit der Stadt zu sehen ist.

Bis Ende September haben die Studierenden Zeit, sich ihre Gedanken zu machen. Anfang Oktober werden die Ergebnisse dann öffentlich im TU-Gebäude an der Arcisstraße in München gezeigt. Die Stadt will die besten Arbeiten außerdem prämieren.

Die hunderttürmige Stadt wurde Ingolstadt einst genannt, was sich auf die 1368 bis 1430 entstandene Stadtmauer und ihre Türme bezieht, von denen heute fast alle in Privatbesitz sind - und mehr oder weniger gut erhalten. Auf Anregung von OB Lösel hat die Stadt zusammen mit dem Historischen Verein Ingolstadt ein Projekt ins Leben gerufen, das sich eine weitere Aufwertung der Stadtmauer zum Ziel gesetzt hat. Aufgabe des Projektes ist es, die Türme auf einer historisch verlässlichen Grundlage, soweit es möglich ist, in ihrer ursprünglichen Form erkennbar zu machen. Mittel- und langfristig ist geplant, die Eigentümer der Stadtmauertürme durch geeignete Maßnahmen anzuregen, bei Sanierung und Renovierung den entsprechenden baugeschichtlichen Erkenntnissen Rechnung zu tragen.

Gerade auf die engagierte Mithilfe der Ingolstädter zählt die Stadt dabei in ganz besonderem Maße: Um die wissenschaftliche Auseinandersetzung auf eine möglichst breite Grundlage stellen zu können, sind alle Interessierten gebeten, ihre historischen Bilder, Postkarten und Fotos von der Stadtmauer für die baugeschichtliche Auswertung zur Verfügung zu stellen. Sammelstelle ist das Vorzimmer von Stadtarchiv und Stadtmuseum, Auf der Schanz 45, Telefon (0841) 305-1881.